27. Februar 2017
Gehör trifft Hirn – Audiologen trafen sich in Aalen
„Neuronale Aspekte des Hörens“ standen im Mittelpunkt der 20. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Audiologie (DGA) vom 22.-25. Februar 2017 am Ostrand der schwäbischen Alb.
Am Rande der Jahrestagung wurde Martin Walger aus Köln zum neuen Präsidenten der DGA gekürt. Er übernahm in einem symbolischen Akt von Ulrich Hoppe (Erlangen) den Dirigentenstab. Ferner verständigte sich die DGA auf Anforderungen an eine Zusatzausbildung zum "CI-Audiologen".
Was bedeutet „Hören“ überhaupt? Was geschieht im menschlichen Hirn, wenn ihm akustische Sinneseindrücke auf dem Weg über Innenohr und Hörnerv zugeführt werden?
In Dutzenden von Vorträgen, Präsentationen und Randgesprächen gingen Audiologen, Therapeuten, Ärzte und andere Wissenschaftler auf dem Campus der Hochschule Aalen vier Tage lang Fragen nach wie: „Warum ist CI-Anpassung nicht ausschließlich ein technischer Prozess?“ oder: „Does a flat strategy based fitting map provide better or equal objective hearing performance as a single channel fitting map?“ Sie vernahmen Erkenntnisse über „Elektroakustische Voraussetzungen bei Infraschall-Hörversuchen“ und diskutierten Poster-Ausstellungen zu Themen wie „Untersuchung lateralisierter Verarbeitung basaler akustischer Parameter mittels der kontralateralen Rauschmethode.“
„Man sieht nur mit dem Herzen gut“
Professor Ulrich Schiefer aus Tübingen verglich hingegen ganz einfach mal das Hören mit dem Sehen. Das gelang ihm auf derart allgemein verständliche, ja unterhaltsame Weise, dass sich der Konrektor der Hochschule Aalen willig als Klopapierrollenhalter zur Verfügung stellte und sich die Zuschauer (und –hörer) im Plenum nahezu hypnotisieren ließen (siehe Fotogalerie). Schiefer fragte, warum die alten Griechen „blinde Seher“ verehrten, man jedoch von noch nie von „tauben Hörern“ gehört habe. Sein vordergründig vergnügliches, im Grunde aber weises Fazit lautete, in Anlehnung an Antoine de St. Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“
Ob man auch nur mit dem Herzen gut hört? Auf jeden Fall sind vielerlei Anstrengungen nötig, um Töne und Geräusche „richtig“ zu deuten. Wie ein roter Faden zog sich durch Vorträge und Diskussionen an den Ständen der medizintechnischen Industrie die Einsicht, dass Hör-Erfolge immer auf komplexen Vorgängen beruhen und schon deshalb der koordinierten Mitwirkung vieler Bezugspersonen und Disziplinen bedürfen.
„Von den Mythen zur Wahrheit“
Professor Manfred Hintermair aus Heidelberg zog eine vorläufige Bilanz der medizinischen und therapeutischen Anstrengungen, hörgeschädigten Kindern ein möglichst „normales“ Aufwachsen zu ermöglichen. Was hilft Kindern beim Spracherwerb? Was hilft nur vielleicht? Hintermair führte seine Zuhörer „Von den Mythen zur Wahrheit“: er stellte vor, welche Lernerfolge belegt sind (evidenzbasiert) und welche eher nicht.
Eine beeindruckende Fülle von – evidenzbasierten – Forschungsberichten unterstreicht laut Hintermair die zentrale Bedeutung der Sprache, des Lesens und des Engagements der Eltern. Deshalb sei es so unabdinglich wichtig, Hörschädigungen möglichst früh zu erkennen und darauf zu reagieren. Was aber auch heiße, „Eltern stark“ zu machen, die frühe Eltern-Kind-Beziehung zu festigen und hörgeschädigte Kinder beim Vorlesen, Lesen und Sprechen keinesfalls zu unterfordern.
Unterfordert blieben die mehrere hundert Tagungsteilnehmer aus allen deutschen Landen und vielen fernen Ländern in Aalen jedenfalls nicht. Das von Tagungsleiterin Annette Limberger und dem scheidenden DGA-Präsidenten Ulrich Hoppe zusammengestellte Programm bot mannigfache Anregungen, auch noch in den Pausen und an den Abenden alte und neue Kontakte über Fachgrenzen hinweg zu pflegen und zu festigen. Dabei jedenfalls galt: Analog schlug digital.
(Text und Fotos: uk)
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