Was ist ein Auditorisches Hirnstammimplantat (ABI)?

 
Ein Auditorisches Hirnstammimplantat, welches im Englischen als „Auditory Brainstem Implant“ bezeichnet wird und deshalb die Abkürzung ABI erhalten hat, ist eine Weiterentwicklung der gängigen Cochlear Implantate. Der technische Aufbau ist gleich mit einer Ausnahme, nämlich der Elektrode. Die Arbeitsweise eines Hirnstammimplantates ist praktisch identisch, nur wird mit dem ABI nicht in der Hörschnecke, am sog. Ganglion spirale, gereizt, sondern eine Schaltstelle weiter in der Hörbahn am Nucleus cochlearis. Entwickelt wurde diese Hirnstammprothese für Menschen, denen mit einem Cochlear Implantat nicht mehr geholfen werden kann, da z. B. aufgrund einer Neurofibromatose Typ 2 (NF2) Tumoren im Bereich des inneren Gehörgangs oder des Hirnstamms wachsen, die zu einer Zerstörung der Funktion des Hörnerven führen oder bei Entfernung der Tumoren der Hörnerv mitentfernt werden muss. Deshalb wird dann eine Oberflächenelektrode mit bis zu 22 Elektroden auf den Nucleus cochlearis angebracht, wo der Hörnerv eigentlich in den Hirnstamm einmündet. Die Operation findet nur an hochspezialisierten Zentren statt. Weltweit sind bisher einige hundert Patienten versorgt worden.

Prinzip und Aufbau des ABI

Sowohl die äußeren als auch die zu implantierenden Komponenten sind mit einem Cochlear Implant identisch außer der Elektrode, die nicht als Elektrodenträger in Form eines Drahtes konfiguriert ist, sondern als eine kleine Platte, auf der sich die einzelnen Elektroden befinden, die dann auf den Nucleus cochlearis aufgelegt werden. Die Funktionsweise ist bei Cochlear Implantat nachzulesen.

Kann das ABI bei allen ertaubten Patienten eingesetzt werden?

Das ABI ist nur dann sinnvoll, wenn beide Hörnerven nicht mehr funktionieren. Solange nach Ertaubung ein Hörnerv noch ausreichend funktioniert, wird ein Cochlear Implant bessere Ergebnisse erzielen. In den letzten Jahren sind auch vermehrt Kinder mit einem ABI versorgt worden, die entweder keine Hörnerven oder keine Innenohren hatten aufgrund von angeborenen Fehlbildungen.

Wie wird das ABI eingesetzt?

Die Operation erfolgt in spezialisierten Zentren in Kooperation zwischen HNO-Arzt und Neurochirurg. Der Zugang erfolgt entweder direkt durch das Innenohr, der sog. translabyrinthäre Zugang oder durch die hintere Schädelgrube, der sog. retrosigmoidale Zugang. Die Operationszugänge sind gleichwertig, die Entscheidung hängt von den anatomischen Gegebenheiten und ggf. von den notwendigen Maßnahmen zur Entfernung des Tumors ab.

Wie ist der Höreindruck mit dem ABI?

Der Vergleich mit Trägern eines Cochlear Implants ist nicht wirklich zulässig. Beim ABI wird auf einer höheren Stufe der Verschaltung in der Hörbahn die gleiche Reizung eingesetzt zur Stimulation wie es beim Cochlear Implant peripher im Bereich des Ganglion spirale, also im Innenohr der Fall ist. Belastbare Studien über die Ergebnisse sind nicht wirklich in der Literatur zu finden, und etwa 10 – 15 % der Patienten mit einem ABI sind in der Lage, einzelne Sätze frei zu verstehen. Dennoch profitieren die ertaubten erwachsenen Patienten von einem ABI. Vor allem erleichtert das Implantat das Lippenablesen. Die Wahrnehmung von Alltagsgeräuschen wie Türklingen und vorbeifahrende Autos wird als hilfreich eingeschätzt. Das eingeschränkte Sprachverständnis kann durch Training mitunter auch über Jahre hinaus verbessert werden.

Gibt es neue Trends in der ABI-Forschung?

Beim ABI werden Oberflächenelektroden verwendet, und in der überwiegenden Zahl der Patienten können nicht alle Elektroden eingesetzt werden, um einen Höreindruck zu erzeugen. Aus diesem Grunde wurde vor etwa 10 Jahren eine Kombination aus Oberflächen- und Tiefenelektrode versucht, die Ergebnisse sind allerdings nicht besser geworden, so dass es über den experimentellen Charakter zu einer alltagstauglichen Prothese bis heute nicht gekommen ist. Auch die Entwicklung einer Prothese, die in das Mittelhirn eingesetzt wird, hat ihre Alltagstauglichkeit bisher noch nicht bewiesen.

Welche Nebenwirkungen kann ein ABI haben?

Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Schwindel, Missempfindungen und unwillkürliche Zuckungen der Muskulatur. Diese Nebenwirkungen können reduziert oder gänzlich abgestellt werden, indem die Reizstromstärke verändert wird oder die entsprechenden Elektroden gänzlich abgeschaltet werden. Schon während der Implantation werden Funktion und Nebenwirkung durch ein gezieltes Monitoring und die Ableitung elektrischer Potenziale untersucht, um schon während der Operation eine optimale Positionierung des Elektrodenträgers zu erreichen.

Kann ein ABI ausgetauscht oder erneuert werden?

Das ABI kann jederzeit abgeschaltet und alle Komponenten können ausgetauscht werden. Die Entfernung oder die Replatzierung der Elektroden erfordert aber wiederum einen operativen Eingriff am Hirnstamm.

Kann man trotz ABI eine Kernspintomografie (MRT) des Kopfes anfertigen?

Prinzipiell ist eine übliche MRT-Untersuchung mit Feldstärke bis 1,5 Tesla möglich. Über den Bereich des ABI hinaus entstehen allerdings Magnetfeldverzerrungen, die Teile des Bildes unlesbar machen und keine Strukturen erkennen lassen, sogenannte Artefakte. Dies kann reduziert werden, wenn der Magnet des ABI entfernt wird, so lange das Implantat dies auch vorsieht. Dies ist aber nur dann notwendig, wenn eine computertomografische Untersuchung für die Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes nicht mehr ausreicht.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Roland Laszig, Freiburg / Prof. Dr. Steffen Rosahl, Erlangen

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