9. Oktober 2023

Fliegen mit Cochlea-Implantat: Welche Erfahrungen gibt es?

Was braucht es, um barrierefrei mit dem Flugzeug reisen zu können? Das ist die Kernfrage des EU-Projekts "Inclavi" (Inclusive Aviation, zu deutsch: inklusive Luftfahrt). Ziel ist es, ein Curriculum für Schulungen zu erstellen, um das Personal im Reisebüro, am Boden und im Flieger sowie Fluggesellschaften im Umgang mit Menschen mit Behinderungen besser zu sensibilisieren. Die DCIG hat Erfahrungen von Hörsystemträgern eingereicht.

Im Zuge des mit EU-Mitteln finanzierten Projekts "Inclavi" wurden in den vergangenen Wochen Menschen mit Behinderungen sowie Luftfahrtpersonal, welches mit Reisenden mit Behinderungen befasst ist, aus zehn EU-Mitgliedsstaaten interviewt, um Flugreisen künftig barrierefreier und bedarfsgerechter zu gestalten. In Deutschland führte Dr. Rüdiger Leidner, der für den DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehinderterverband e.V.) unter anderem Mitglied der AG Barrierefreier Tourismus des Deutschen Behindertenrates (DBR) ist, die Interviews. Leidner befragte dabei auch Annalea Schröder, politische Referentin der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft (DCIG) und ebenfalls Mitglied der AG des DBR. Zur Vorbereitung des Interviews mit Dr. Leidner trug Schröder die Erfahrungen verschiedener Hörsysteme-, insbesondere CI-Träger zusammen:
 
„Ich bin gerade von meinem Flugurlaub zurück. Meine Schwierigkeiten sind die Ansagen, egal in welcher Sprache. Ich verstehe sie nicht. Ich habe dann meinen Sitznachbarn gefragt, der mir geholfen hat. Ich möchte aber nicht immer fragen müssen.“

Wunsch: Durchsagen als Untertitel, Infos per SMS 

„Wenn ein Flug gecancelt wird, kommt alles per Durchsage. Hier wäre mein Wunsch, Durchsagen am jeweiligen Gate auf dem Bildschirm in Untertiteln und in Schleife laufen zu lassen. Ich hatte dann eine SMS erhalten, mit neuem Check-in für den Ersatzflug mit genauen Flugdaten am nächsten Tag. Soweit so gut. Allerdings bekamen die Fluggäste, die früher gebucht hatten, ein Hotelzimmer bezahlt. Die Info kam angeblich auch per Durchsage. Diese Infos hätten mit in die SMS gehört, optimal direkt mit einem Link zum Hotel oder anderen Infos.

Fazit: alles doppelt, besser dreifach kommunizieren, also per Durchsage, schriftlich per SMS an die richtigen Fluggäste und schriftlich an den Monitor des Gates. Das würde nicht nur uns, sondern auch gut Hörenden helfen.
Kleiner Tipp: mit einem Schwerbehindertenausweis kommt man auch als Gehörloser bei den Kontrollen an der großen Schlange vorbei.“

Vorteile des Schwerbehindertenausweises nutzen

 „Und ein weiterer Tipp: Mit dem Schwerbehindertenausweis kommt man auch in bestimmte Wartebereiche für Menschen mit Behinderungen rein. Habe ich in deutschen Flughäfen bisher nicht gesehen, aber in Amsterdam gibt es so was. Zu meinen Erfahrungen: Ich bin ein paar Mal mit einem gehörlosen Freund geflogen und einmal haben sie uns aufgerufen, dass wir uns beim Gate melden sollten. Wie wir dort erfuhren, waren Plätze vertauscht worden. Zum Glück konnte ich unsere Namen verstehen und ihm die Durchsage mitteilen bzw. gebärden und wir sind dann zum Gate. Wenn er allein geflogen wäre oder ich die Namen nicht verstanden hätte, dann hätten wir in diesem Fall andere Plätze bekommen oder einen anderen Flug nehmen müssen.“

„Ich versuche immer im Flieger so weit wie möglich vorne sitzen (ist leiser!) und am Gang. Ich erzähle beim Betreten der Maschine zudem immer, dass ich „hearing impaired“ bin und die Anweisungen nicht gut verstehen kann. Ich habe bei ein- und derselben Fluglinie große Unterschiede erlebt: auf dem Hinflug eine super Individualbetreuung mit deutlicher, direkter Ansprache und auf dem Rückflug nur Schulterzucken. Es hängt viel vom Wissenstand des Personals ab.“ 

Cochlea-Implantat und Sicherheitsschleusen

„Am Flughafen Köln/Bonn musste ich nur auf mein Ohr zeigen und sie haben direkt kapiert, dass es ein Cochlea-Implantat ist. Die Mitarbeiterin rief dann auch zum Kollegen rüber: ‚Bitte Sicherheitsscanner ausmachen, sie hat ein CI!‘ (Der Metalldetektor kann durch das Cochlea-Implantat auslösen, zudem kann durch elektromagnetische Interferenzen ein schwaches Geräusch zu hören sein; Anm. d. Red.)
Grundsätzlich kann ich aus meiner Erfahrung sagen: Frankfurt, Köln und Düsseldorf waren nie ein Problem. Im Ausland musste ich häufig mehr erklären und zeigen, was ich da habe, und habe die Schlange aufgehalten. Durchsagen, die während des Fluges kommen, werden nicht immer visuell vermittelt. Nur, dass ich mich jetzt anschnallen muss. Aber oft wird ja dazu auch was gesagt.“
 
„Ich wurde in München trotz meiner Ankündigung Implantat-Träger zu sein immer reingewunken sowohl bei den alten Scannern, wo man durchgeht, als auch in die neuen, wo man stehen bleiben muss. War in München und auch in den internationalen Flughäfen Samos, Heraklion(GRE) Cancun(MEX) Houston(USA) Havanna, Varadeiro(CUB) so.“
 
„Ich habe bei der Kontrolle gesagt, dass ich Hörgeräte habe, und sie haben mir freigestellt, ob ich durch den Scanner gehen möchte oder mich so kurz checken lasse.“
 
„Was mich immer wieder positiv überrascht ist, wie gut das Personal an den Sicherheitsschleusen über Cochlea-Implantate informiert sind und dass mir jeweils freigestellt wird, was ich machen möchte: CI-Prozessoren auflassen (mache ich seit einiger Zeit immer) oder in den Behälter legen, der durch den Scanner fährt. Und ob ich durch die Schleuse laufe oder drum herum, konnte ich bisher auch immer selbst entscheiden. Ich musste auch noch nie den CI-Ausweis vorzeigen, die CI-Prozessoren sind Nachweis genug.“
 
„Die erste Flugreise mit CI war von Berlin nach Sardinien. Da es mein erster Flug mit CI war, hatte ich beim Ticketkauf die Option ‚Hörbehinderung‘ angegeben. So musste ich dann nicht in den langen Schlangen stehen, sondern konnte direkt zu einem Schalter gehen. Von dort aus ging ich mit der Begleiterin zum Check-In und sie brachte mich auch direkt zum Terminal.“

Überforderung an der Sicherheitsschleuse

„Ich wollte von Barcelona wieder zurück nach Frankfurt (Main) fliegen. Bei der Sicherheitskontrolle hat der Mann etwas ganz schnell auf Spanisch gesagt und ich habe es nicht verstanden. Daraufhin hat er es in einem ebenfalls sehr schnellen Englisch gesagt und ich war komplett überfordert mit der Situation und habe nichts verstanden. Wegen meiner Überforderung konnte ich ihm nicht sagen, dass er bitte versuchen soll langsamer zu sprechen. Mein damaliger Freund hat das dann mitbekommen und das dann irgendwie mit ihm geklärt. Vielleicht kann man bei der Schulung dafür sensibilisieren, dass langsam und deutlich gesprochen wird, wenn am Ohr Hörhilfen entdeckt werden, oder es vielleicht kurz schnell aufschreiben.“

Mangelndes Gefühl für Hörstress 

„Grundsätzlich werden die Fluggäste per Anzeige und Aufruf informiert, sobald es kompliziert wird oder schnell gehen muss, wird auf die optische Information verzichtet oder diese nicht aktualisiert und per Stimme/Lautsprecher informiert. Fluggäste, die Durchsagen nicht gut verstehen können aufgrund von Hörbeeinträchtigungen oder der Sprache der Durchsage müssen dann aufpassen, dass sie nicht den Anschluss verlieren.
Insgesamt machen Flughäfen nicht den Eindruck, dass sich jemand Gedanken im das Thema Akustik oder Hörstress gemacht hat. Ich möchte dort nicht als Servicepersonal jeden Tag arbeiten müssen. 
Im Flugzeug sind CIs, solange man sie nutzt, unauffällig. Durchsagen sind auch für Leichthörige oft schwer zu verstehen. Da gibt es keinen großen Unterschied zwischen den Fluggästen mit oder ohne Hörbeeinträchtigungen. Mir ist es allerdings in den Maschinen meist zu laut und ich ziehe dann die Prozessoren aus, damit ich meine Ruhe habe. Das hat schon dazu geführt, dass wir den Platz am Notausgang – den mit mehr Beinfreiheit – räumen mussten. Die Servicekraft meint, ich wäre im Notfall nicht in der Lage, auf die entsprechenden Anweisungen schnell genug zu reagieren.“
 
Die Sammlung der Erfahrungen sollen den Projektbeteiligten helfen, die Phasen der Passagierreisen deutlich detaillierter zu kennen und den unterschiedlichsten Bedürfnissen, die aus den verschiedenen Behinderungsformen resultieren, besser begegnen zu können. Darüber hinaus sollen die gewonnenen Erkenntnisse sowie die besten Praktiken einer inklusiven Luftfahrt ermittelt werden und in die Schulungsprogramme einfließen. (ms)

In der Schnecke 120 haben wir ausführlich über das Thema „Reisen mit CI“ berichtet.

Das Projekt „Inclavi“ wurde im September 2022 gegründet und ist an die EU-Strategie für die Menschen mit Behinderung 2021-203 angelehnt. Ihm gehören insgesamt acht Partner an. Es sind unter anderem Bildungseinrichtungen sowie der Dachverband der Fluggesellschaften. Das Projekt verfolgt sechs Ziele: 

  • Verständnis für die tatsächliche Situation von Menschen mit Behinderungen auf Flugreisen
  • Erkennen der besten gelebten Praxis und das Finden der 30 besten Ausbildungs- und Schulungsprogramme sowie Lehrpläne
  • Entwicklung von Lehrplänen, konventionell und digital – die App soll mehr als 10.000 Downloads innerhalb des Inclavi-Netzwerks erzielen
  • Langfristige Anerkennung und Gütligkeit der Lehrpläne
  • Veröffentlichung politischer Empfehlungen
  • Jährliche Verbesserung der Flugbedingungen für Menschen mit Behinderung

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