11. August 2021
„Ich lebe in zwei Welten: Ich bin gehörlos, aber auch hörend - heute weiß ich, das ist gut so“
Seit frühester Kindheit ist Mona Shani schwerhörig. Ohne ihre Cochlea-Implantate könnte die junge Frankfurterin heute nichts mehr hören. Eine Tatsache, die sie erst lernen musste zu akzeptieren und für die sie mittlerweile vor allem eines ist: sehr dankbar.
Wer Mona Shani kennenlernt, erlebt eine selbstbewusste junge Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht. Auf den ersten Blick würde man daher kaum vermuten, dass sich hinter ihrem ansteckenden Lachen, ihren strahlenden Augen und ihrem kommunikativen Wesen, eine Geschichte verbirgt, die so gar nicht zu ihrer offenen Art zu passen scheint: Die gebürtige Frankfurterin lebt von klein auf mit einem Hörverlust, der zunächst mit Hörgeräten und bald darauf mit Cochlea-Implantaten behandelt wurde. Zwar konnte sie dank dieser an der hörenden Welt teilhaben, doch kämpfte sie viele Jahre mit ihrer Hörbehinderung und der Technologie, die ihr ein normales Aufwachsen ermöglichen sollte. Denn trotz der Möglichkeit wieder hören zu können, fühlte sie sich als Außenseiterin, als die, die irgendwie anders war. Mit ihrem Umzug nach Berlin entschloss sich die damalige Kunststudentin deshalb, ihren Hörverlust vor ihren neuen Freunden geheim zu halten. Ein Neuanfang und Drahtseilakt, der Mona vieles abverlangte. Was sie schließlich dennoch dazu bewog, zu ihrem Hörverlust zu stehen und warum sie heute glücklich darüber ist, Teil von zwei Welten zu sein, zeigt ihre Geschichte. Die Geschichte einer Kämpferin und Grenzgängerin.
© Mona Shani, Fotograf: Cedrik Wette
Wie bei so vielen Betroffenen, ist auch in Monas Fall die Ursache für ihren Hörverlust völlig unbekannt. Sicher ist nur, dass er sich im Laufe ihrer frühen Kindheitsjahre entwickelt haben muss und erst im Grundschulalter bemerkt wurde: „Ich habe die Aufgaben immer anders gemacht als meine Mitschüler*innen und wenn mich jemand rief, habe ich nie reagiert. Diese kleinen Alltagsdetails ließen schließlich vermuten, dass etwas mit meinem Gehör nicht stimmte“, erinnert sich die heutige Wahlberlinerin an die Anfangszeit ihrer Hörminderung zurück. Ein Besuch bei einem HNO-Arzt bestätigte schließlich den Verdacht einer behandlungswürdigen Schwerhörigkeit. Die damals siebenjährige Schülerin wurde daraufhin mit Hörgeräten versorgt, die jedoch nur unzureichend halfen. Denn durch die schnell fortschreitende Verschlechterung ihres Hörvermögens stießen die konventionellen Hörhilfen bald an ihre Grenzen.
Systematisch isoliert und abgeschnitten
Im Unterricht hatte Mona immer größere Schwierigkeiten dem Inhalt zu folgen und musste doppelt so hart arbeiten wie ihre Klassenkameraden, um den Stoff zuhause aufzuarbeiten. Doch auch auf zwischenmenschlicher Ebene wurde der Schulalltag für Mona zur ganz persönlichen Herausforderung: „Ich war eine absolute Außenseiterin, denn ich war kaum in der Lage mich zu unterhalten oder etwas zu verstehen – und das, obwohl ich mit den stärksten Hörgeräten ausgestattet war, die es gab.“ Von der hörenden Welt abgeschnitten, wurde sie systematisch von ihren Mitschülern isoliert. Als sich die Situation zunehmend zuspitzte, war klar, dass etwas passieren musste. In der Uniklinik Frankfurt erfuhren Mona und ihre Eltern schließlich von der Behandlung von Hörverlust durch Cochlea-Implantate. 2004 wurde Monas rechtes Ohr implantiert, das linke folgte drei Jahre später.
Hin- und hergerissen
Zwar schenkte ihr die moderne Medizintechnik damit das Hörvermögen zurück, doch halfen Monas Cochlea-Implantate ihr nicht dabei, ihre eigene Hörminderung anzunehmen. „Es war sehr schwierig für mich zu akzeptieren, dass ich ‚anders‘ war“, gesteht sich die heute selbstbewusste Frau ehrlich ein. Noch immer ist Hörverlust, anders etwa als ein gemindertes Sehvermögen, das mit einer Brille korrigiert wird, stigmatisiert und ist für viele Betroffene ein schambehaftetes Thema. Denn nach wie vor dominieren Vorurteile die gesellschaftliche Debatte im Zusammenhang mit einer Schwerhörigkeit. Und so wird Hörverlust, obwohl zahlreiche Studien das Gegenteil beweisen, noch immer fälschlicherweise mit Alter oder geistiger und körperlicher Schwäche assoziiert. Ein Problem, das für Betroffene zur Zerreißprobe werden kann, so auch in Monas Fall: Denn neben der systematischen Isolation, die sie durch ihr Umfeld erfuhr, fühlte sich die junge CI-Nutzerin zunehmend zwischen zwei Welten hin- und hergerissen. Ein Spagat, den sie nur schwer bewältigen konnte. „Es sind zwei Extreme, gewissermaßen zwei verschiedene Persönlichkeiten, die das Gegenteil voneinander sind. Wenn ich gehörlos bin, empfinde und verhalte ich mich anders, als wenn ich höre. Ich kann entweder (fast) alles hören, oder ich habe totale Stille“, versucht sie ihre damaligen Gefühle zu beschreiben.
Unsichtbar und ungesehen
Mit dem Umzug nach Berlin für ihr Kunststudium brach für Mona ein neuer Lebensabschnitt an – eine neue Stadt, neue Freunde, neue Möglichkeiten. Vielleicht aus dem Wunsch heraus, endlich frei von dem scheinbaren Makel einer Gehörlosen zu sein, verschwieg die Neuberlinerin zunächst ihren Hörverlust. „Das passierte eigentlich ganz unbewusst und irgendwann wurde es mir zur Gewohnheit meine Behinderung zu verstecken“, so die Hörimplantat-Trägerin fast nüchtern. Ihre Haare trug Mona stets so, dass ihre Locken die Audioprozessoren verbargen und da sie ihren Hörverlust selbst nicht mehr thematisierte, blieb er auch von den meisten unentdeckt. Die wenigen, die ihn dennoch bemerkten oder denen sich Mona anvertraute, ermutigten sie schließlich dazu, offen zu ihrer Schwerhörigkeit zu stehen. Bestärkt durch ihren engen Freundeskreis und ihrer Familie wagte die Universitätsabsolventin schließlich die Flucht nach vorne. Als Kunststudentin drehte sie eine Reportage mit sich selbst und ihrem Hörverlust in der Hauptrolle. Was man als Coming-out der etwas anderen Art bezeichnen könnte, war in Wahrheit sehr viel mehr.
Mona Shani, Fotograf: Jan Boroewitsch
Mit dem Hörverlust und dem eigenen Ich versöhnt
Denn durch die filmische Auseinandersetzung mit ihrer Schwerhörigkeit gelang es Mona zu sich selbst zu finden, wie sie selbst sagt: „Ich habe sehr lange gebraucht, um zu lernen mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Ich dachte immer, ich kann entweder nur das eine (hörend) oder das andere (gehörlos) sein. Ich hatte zu viel Angst davor, was andere über mich denken könnten. Heute weiß ich, die Welt ist nun einmal nicht schwarz oder weiß, sondern sehr bunt.“ Mit dieser Erkenntnis hat Mona nicht nur sehr viel Selbstvertrauen und Unabhängigkeit gewonnen, sondern auch Lebensqualität gefunden. Denn heute kann die vielseitig interessierte Künstlerin ganz unbeschwert die Vorteile, die ihr ihre Cochlea-Implantate schenken, genießen – etwa problemlos Musik hören, mit Freunden und Familie telefonieren, Filme ohne Untertitel schauen oder ganz einfach eine Unterhaltung ohne große Anstrengungen führen. Alltägliche Dinge eben in einem ganz normalen Leben. „Ich habe die Balance zwischen beiden Welten gefunden. Es war ein langer Weg, aber ich bin froh, dass ich ihn gegangen bin“, so Mona heutezufrieden und in sich ruhend.
Quelle: Med-el
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