28. Juni 2021
„In vollen Zügen leben…“
Wie die 60-jährige Mo O’Brien als erster hochgradig hörgeschädigter Mensch über den Atlantik ruderte.
„Ein Leben ist nicht nur dafür da, um zu existieren. Man muss es in vollen Zügen leben, solange man kann.“ – Das sagte sich Mo O’Brien mit knapp 60. Mo O’Brien, die in einem kleinen Ort im Südwesten Englands lebt, arbeitet als Sprechstundenhilfe in einer Arztpraxis, sie ist Mutter einer erwachsenen Tochter und seit ihrer Kindheit hochgradig hörgeschädigt. Eigene Grenzen überschreiten, einen Traum verwirklichen, die große Herausforderung meistern – all das wollte Mo O‘Brien endlich angehen. Und dank ihrer großen Energie, engagierter Mitstreiter sowie neuester Hörtechnik schaffte sie es auch: Mo O’Brien ist der erste hochgradig hörgeschädigte Mensch, der in einem Ruderboot den Atlantik bezwang.
“Man muss in vollen Zügen leben, solange man kann.“ – Mo O’Brien (2. von re.) mit ihren Team-Kolleginnen Linda Whittaker (li.), Bird Watts (2. von li.) und Claire Allinson (re.)
Meine früheste Erinnerung an meine Schwerhörigkeit ist, dass meine Mutter mich ausschimpfte, weil ich unhöflich war und eine Frage nicht beantwortete“, erinnert sich Mo O’Brien, die in einem kleinen Ort in der Grafschaft Cornwall im Südwesten Englands lebt. „Mir machte das damals Angst. Mir war überhaupt nicht klar, warum meine Mutter so reagierte. Und diese Angst setzte sich mit der Zeit fest. Mein Hörverlust prägte meine Persönlichkeit. Hätte ich hören können, dann wäre ich viel offener und umgänglicher gewesen.“
Ohne technische Hilfe kann die 60-jährige Mitarbeiterin einer örtlichen Arztpraxis nur noch wenig hören. Wie es ist, Steine in den Weg gelegt zu bekommen, hat sie durch den Hörverlust früh gelernt. Ob im Job oder im alltäglichen Leben, die Herausforderungen waren für Mo O’Brien häufig größer als für andere. – „Oft habe ich mich mit meinem Hörverlust herausgeredet“, sagt sie. „Aber das ist jetzt vorbei.“
Mo O’Brien hat beschlossen, etwas Großes und Außergewöhnliches zu tun. Etwas, was man nicht mehr vergisst. Sie will sich nicht länger abhalten lassen – weder von ihrer Hörschädigung noch von der Tatsache, dass sie ja eigentlich nur eine „ganz normale, ältere Lady“ aus einem Dorf im Cornwall ist… Nein, Mo O‘Brien hat beschlossen, der erste hörgeschädigte Mensch zu werden, der in einem Ruderboot den Atlantik überquert.
Mevagissey (UK), Dezember 2018, zwölf Monate vor dem Start
„Ich glaube, die Idee zur Atlantik-Überquerung kam mir, als ich in einem Buch über vier Frauen las, die das auch gemacht hatten“, so Mo O’Brien, die sich an diesem Tag in Mevagissey, einem Fischerdorf an der Südküste Cornwalls, den Interview-Fragen stellt. „Ich hatte nach einer Herausforderung gesucht. Und ich fand, dass das genau das Richtige für mich ist. So kamen wir zusammen.“
Im Ruderboot über den Atlantik - Bird Watts, Linda Whittaker, Mo O’Brien und Claire Allinson (von li. nach re.)
Wir – damit meint die 60-jährige zuerst einmal ihr Team. Ihre Tochter Bird Watts, die Radiologie studiert, dann die Sachbearbeiterin Claire Allinson und Linda Whittaker, die als Managerin in einer sozialen Einrichtung für Jugendliche arbeitet. Vier Frauen aus der englischen Provinz, die über sich selbst sagen, dass sie als ganz gewöhnliche Menschen etwas Außergewöhnliches schaffen wollen.
Dieses Außergewöhnliche hat einen Namen: Talisker Whisky Atlantic Challenge. Die härteste Ruderregatta der Welt startet alljährlich im Dezember auf den Kanarischen Inseln und endet nach 3.000 Meilen (bzw. 4.708 Kilometern) auf Antigua in der Karibik – vorausgesetzt, dass man das Ziel erreicht.
Damit das Team um Mo O’Brien bei der nächsten Regatta in zwölf Monaten tatsächlich eine Chance hat, braucht es starke Motivation und ausreichend Fitness. Und es benötigt natürlich ein geeignetes, hochseetaugliches Ruderboot sowie die dazugehörige Ausrüstung – ein ziemlich kostspieliges Unterfangen.
Doch Mo O’Brien und ihr Team glauben fest an sich und an ihren Traum. Sie beginnen, nach passenden Sponsoren zu suchen, werben Gelder ein, die nicht zuletzt wohltätigen Zwecken dienen sollen. Geplant ist, das gesamte Geld, das der Weiterverkauf von Boot und Equipment nach dem Rennen einbringt, an soziale Projekte zu spenden.
Tochter Bird: „Meine Mutter ist definitiv meine Heldin.“
Solange es noch kein Boot gibt, trainieren die vier eben ohne: Laufen, Radfahren, Schwimmen, Yoga und natürlich Rudern und immer wieder Rudern – auf dem heimischen Ruder-Fitnessgerät. Die Frauen, die aus verschiedenen Dörfern der Gegend kommen, treffen sich regelmäßig – oft im The Vean, einem alten englischen Landhaus, in dem Tochter Bird einen Teilzeit-Job hat und dessen Umgebung inmitten von Natur sich sehr gut zum gemeinsamen Training eignet.
Alle haben ein Ziel und für Zweifel und Bedenken ist kein Platz. – „Meine Mutter ist definitiv meine große Heldin“, versichert Bird Watts. „Wie viele Mütter wollen schon über den Atlantik rudern?! Ich bin stolz auf sie, weil sie eine so ungewöhnliche Sache macht. Und das, obwohl sie hochgradig hörgeschädigt ist und wie jeder Mensch älter wird. Es ist großartig, dieses Abenteuer mit ihr gemeinsam anzugehen. Wir wollen die Strecke in 40 bis 45 Tagen schaffen. Und über eine hörgeschädigte Person, die über den Atlantik gerudert ist, ist nirgendwo etwas zu finden. Also wird meine Mama die erste sein.“
Auch die anderen beiden der „Oarsome Foursome“ sind absolut zuversichtlich. - „Wir sind ganz normale Menschen, die nicht scheitern werden“, meint Claire Allinson. „Wir haben einen absoluten Antrieb zum Erfolg. Ich könnte mir nicht vorstellen, diese Herausforderung mit jemand anderem anzugehen – nur mit diesem Team. Wir sind einfach alle sehr positiv. Und es scheint so eine Art natürliche Verbindung zwischen uns zu bestehen.“
„Der wichtigste Teil unseres Trainings ist die mentale Vorbereitung“, so Linda Whittaker, die Vierte der Crew . „Wir haben mit vielen Leuten gesprochen, die bei früheren Rennen dabei waren. Fast alle sagen, es geht zu 80 Prozent um das, was in deinem Kopf passiert; nur 20 Prozent sind körperliche Fitness.“ – Von der Kraft des eigenen Teamspirits ist auch Linda überzeugt: „Mo ist definitiv eine Inspiration. Bevor ich zur Crew kam, kannte ich sie noch gar nicht. Sie und Bird sprachen damals mit mir. Und Mo war einfach derart begeistert! Sie gab mir volles Vertrauen, dass alles gut wird. Es wäre dumm, hier nicht mitzumachen. Mo ist für mich ein lebender Beweis dafür, dass man absolut alles schaffen kann.“
High-Power-Hörgeräte für die härteste Ruderregatta der Welt
Entscheidend für das Bestehen auf hoher See wird jedoch noch etwas sein: Mos Hörgeräte. Auf die Idee einer Atlantik-Überquerung kam Mo O’Brien nicht zuletzt deshalb, weil sie sich mit ihrer jetzigen Hörtechnik deutlich mehr zutraut als früher. Sie trägt die neueste Generation der ReSound ENZO Super-Power-Hörgeräte.
„Die sind phantastisch“, so die 60-jährige. „Ich habe ein sehr klares und komfortables räumliches Hören. Und ich habe mit diesen Geräten meine Angst verloren, ans Telefon zu gehen. Ich traue mich sogar wieder, Leute von mir aus anzurufen.“
„Zuvor hatte sie das jahrelang nicht mehr gemacht, auch nicht bei mir“, bestätigt Tochter Bird. „Jetzt kann sie mich tatsächlich wieder anrufen. Und sie macht das sehr oft. Wir telefonieren bestimmt zwei- oder dreimal pro Woche. Und wenn wir uns während der Fahrt im Auto unterhalten, dann nehme ich das Mini-Mikrofon, das mit ihren Hörgeräten gekoppelt ist. Ich bin immer noch erstaunt, wie gut das funktioniert.“
Auch die anderen beiden im Team wissen, wie wichtig gute audiologische Technik für den gemeinsamen Erfolg sein wird: „Nicht nur für Mo selbst machen die neuen Hörgeräte einen großen Unterschied“, so Linda Whittaker. „Wir können uns nun praktisch in jeder Umgebung unterhalten. Vorher ging das nicht immer. Und es ist schön, mitzuerleben, wie Mo es genießt, wieder Dinge tun zu können, die ihr lange Zeit verwehrt waren.“
Auf der 3.000-Meilen-Tour über den Atlantik werden die High-Power-Geräte jedoch einer ganz besonderen Prüfung unterzogen. Die Technik muss bei Wind und Wetter zuverlässig arbeiten. Auf hoher See muss sich jeder voll auf den anderen verlassen und sicher kommunizieren können. Man muss Anweisungen sofort verstehen. Räumliches Hören ist wichtig. Selbst bei starken Windgeräuschen, bei strömendem Regen und peitschenden Wellen muss all das noch möglich sein.
Mevagissey (UK), April 2019, noch sieben Monate bis zum Start
Die Vorbereitungen laufen weiter auf Hochtouren. Ein ganz entscheidender Punkt: Mo und ihre Crew haben die erforderlichen Sponsoren gefunden. ReSound unterstützt das Team und wird sich zudem während des Rennens um Mos Hörtechnik kümmern. Mit dem Fitness-Anbieter MUTU System, dem Logistik-Unternehmen Crown Records Management sowie der britischen Pop-Rock-Band Coldplay konnte das Team noch drei andere große Sponsoren für das Projekt begeistern; über eine Crowdfunding-Plattform werden weitere Spenden eingeworben.
Und das Boot ist endlich da. Nach langer Zeit des Wartens können die „Oarsome Foursome“ ihr kleines, kompaktes Ozean-Ruderboot in Empfang nehmen und das Training nun auf dem Wasser fortsetzen. Langsam wird es ernst. Gemeinsam trainieren die vier in der rauen englischen See. Das kleine Boot soll ab Mitte Dezember fast zwei Monate lang ihr Zuhause sein.
Mo O’Brien bleibt voller Zuversicht und Vorfreude, und sie reißt die anderen mit: „Ich bin nicht allein. Ich habe das beste Team, das man haben kann. Wir wollen es gemeinsam schaffen. Es gibt so viele Leute, die einfach nur zur Arbeit gehen, um Geld zu verdienen. Sie zahlen Hypotheken, zahlen die Miete und machen sich wieder an die Arbeit – wie in einem Hamsterrad. Man muss dieses Leben in vollen Zügen leben. So bitter es auch klingt, wir könnten schon morgen tot sein. Also müssen wir tun, was wir müssen, solange es möglich ist.“
Hafen von San Sebastian auf La Gomera, 12. Dezember 2019
Dann ist es tatsächlich soweit: Am Morgen des 12. Dezember geht es los. Doch die „Oarsome Foursome“ sind zu diesem Zeitpunkt leider nur noch zu dritt. Linda Whittaker litt beim Rudertraining in den vorangegangenen Monaten an extremen Gleichgewichtsstörungen. Sie wurde derart seekrank, dass ein Start nicht mehr in Frage kam. Bitter für sie, die nach langer Vorbereitung aus dem aktiven Team aussteigen muss und die Crew nun vom Land aus unterstützt.
„Ich denke, unsere Beziehung wird bei diesem Rennen auf die Probe gestellt“ - die „Oarsome Foursome“ bei Vorbereitungen auf die Atlantik-Überquerung
Doch Mo, Bird und Claire sind dabei. Ihr Ozean-Ruderboot startet mit 39 weiteren im Hafen von San Sebastian auf der Kanaren-Insel La Gomera. Die Ruder-Crews nehmen Kurs auf die offene See. Für die teilnehmenden Frauen und Männer beginnt eine Reise voller Härten und Strapazen – Ausgang und Ankunft völlig ungewiss.
„Ich denke, unsere Beziehung wird bei diesem Rennen auf die Probe gestellt“, hatte Mo O’Brien vor dem Start erklärt. „Und ich denke, diese Beziehung wird wahrscheinlich stärker sein und nichts wird sie brechen.“
Doch nun benötigt ihr Boot ungefähr 1,5 Millionen Ruderschläge, um ans Ziel zu gelangen. Eine unvorstellbare Zahl, die mit jedem Schlag in das wogende Wasser ein winziges Stückchen kleiner wird. In den nächsten Tagen und Wochen bleibt den drei Ruderinnen nur das offene Meer, die endlose Weite des Ozeans, mit mehr oder weniger Wellengang, mit zuverlässig wenig Schlaf und körperlichen Extremen. Zehn Liter Wasser verbraucht jeder Ruderer pro Tag. Er verbrennt jeden Tag mehr als 5.000 Kalorien und verliert während der Wochen der Tour durchschnittlich zwölf Kilogramm an Gewicht.
Der Tag gliedert sich in Rudern und Schlafen – zwei Stunden rudern, zwei Stunden Pause, immer im Wechsel, 24 Stunden lang. Über dem schaukelnden Boot wechseln Sonne und Finsternis, Wind und Wetter. Unter den drei Frauen die Tiefe des Ozeans, bis zu achteinhalb Kilometer. In einigen Videos sieht man die kleine Mannschaft in ihrem Boot zwischen dunklen, unendlichen Wogen. Einmal taucht ein Wal unmittelbar vor dem Bug auf und begleitet das Trio ein Stück.
Die drei rudern bis Weihnachten, sie rudern bis zum Beginn des neuen Jahres und haben doch noch nicht mal die Hälfte der Strecke geschafft. In 40 Tagen ist das Ziel schon jetzt nicht mehr zu erreichen. Bei Stürmen türmen sich die Wellen des Atlantiks bis zu sechs Meter hoch. Zwei Sicherheitsyachten begleiten die 40 Boote auf ihrer Reise und sichern die wichtigste Unterstützung ab.
Nelsons Werft, Antigua und Barbuda, 31. Januar 2020
Am 31. Januar ist das Ziel tatsächlich erreicht: Nelsons Werft im Englischen Hafen der Karibik-Insel Antigua. In der Dunkelheit, jubelnd und Fackeln schwenkend überqueren Mo, Bird und Claire nach 49 Tagen, 13 Stunden und 49 Minuten die Ziellinie. Die Strapazen der letzten anderthalb Monate in Sonne, Wind und Wetter sind ihnen ins Gesicht geschrieben – doch ebenso die Freude über das Erreichte. Mo O’Brien ist ab sofort der erste hochgradig hörgeschädigte Mensch, der den Atlantik in einem Ruderboot überquerte. Zudem sind die drei sogar das schnellste weibliche Trio des aktuellen Rennens.
Jubelten am Ziel im Englischen Hafen der Karibik-Insel Antigua - Bird Watts, Claire Allinson und Mo O’Brien (von li. nach re.)
"Ich bin so unglaublich stolz, dass ich diese extrem schwierige Herausforderung gemeistert habe“, so Mo O’Brien. „Und das alles gemeinsam mit meiner Tochter und den anderen zu erleben, ist das i-Tüpfelchen."
Zudem dient der Erfolg einem wohltätigen Zweck – gute Tradition bei der Atlantic Challenge. Allein in den letzten vier Rennen wurden über 6 Millionen Euro gespendet – an Hilfsorganisationen überall auf der Welt. Die fast 60.000 Euro, die das Team von Mo O’Brien mit dem Weiterverkauf seines Equipments erzielt, gehen zu drei gleichen Teilen an die Cornwall Blood Bikes, an Carefree und an Hospiscare Exmouth & Lympstone – eine Organisation, die lebenswichtige Medikamententransporte rund um die Uhr absichern hilft, eine weitere, die sich um Jugendliche aus Pflegefamilien kümmert, und eine dritte, die Menschen mit lebensverkürzenden Krankheiten sowie Sterbenden beisteht.
„Alles Organisationen deren Hilfe jeder irgendwann im Leben vielleicht einmal brauchen kann“, so die Ruder-Crew. „Sicherlich hätte es noch viele andere Institutionen gegeben, die das Geld ebenso dringend brauchen. Aber uns war auch wichtig, Projekte zu unterstützen, die Menschen in unserer Region zugutekommen.“
Nicht zuletzt haben auch die ReSound Hörgeräte den extremen Belastungstest mit Bravour bestanden: „Auf dem Meer waren sie unglaublich hilfreich“, so Mo O’Brien am Ziel. „Ich konnte zuverlässig mit den anderen kommunizieren, konnte mich auf das Rudern konzentrieren oder Musik hören und mich dabei entspannen. Auch auf dem Atlantik gab es keinen Grund, mich durch meinen Hörverlust eingeschränkt zu fühlen.“
Im Internet finden Sie u. a. eine kleine Dokumentation über die Oursome Foursome unter https://youtu.be/nGN7p2f-1-I, weitere Informationen gibt es auch auf www.oarsomefoursome.co.uk sowie auf dem Twitter-Kanal @OarsomeFour.
Text: Martin Schaarschmidt, Fotos: GN Hearing
Ein Hinweis zu dem Artikel auf Schnecke-Online erschien in Schnecke 112/Juni 2021.
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