21. März 2016

Ambulant oder stationär: Wann ist eine Reha erfolgreich?

Der Königsweg der Nachsorge nach einer CI-OP führt über eine gut strukturierte, auf die Erfordernisse des Einzelnen abgestellte ambulante Rehabilitation, die unter bestimmten Umständen durch einen stationären Aufenthalt ergänzt werden soll. Die Mithilfe des Patienten ist dabei unverzichtbar. 

In der Medizin bezeichnet Rehabilitation den „Einsatz und die Wirkung von Maßnahmen, die darauf zielen, die körperlichen, psychischen und sozialen Folgen einer Behinderung bzw. Aktivitäts-einschränkung…und Störung der Teilhabe…auf ein Minimum zu beschränken" (wikipedia). Den Fachbegriff des bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells hat Ende der 1970er Jahre der US-amerikanische Psychiater George L. Engel entwickelt.

Bereits aus dieser Begrifflichkeit ist ersichtlich, dass die Ziele der Rehabilitation nach einer CI-Operation nur in einem aus vielen unterschiedlichen Schwerpunkten bestehenden Therapiekonzept und in einer Zusammenarbeit sehr unterschiedlicher Berufsgruppen erreicht werden können. Damit sollte aber auch erkennbar sein, dass Rehabilitation nicht nur das technische Funktionieren des Sprachprozessors, ein verbessertes Verstehen oder weniger Hörstress im Alltag bedeutet, sondern auch zu verbesserten Teilhabe-Möglichkeiten im psycho-sozialen Umfeld (Familie, Freunde, Arbeitswelt) führen muss.

Ein Fallbeispiel
Frau S.  ist eine 52-jährige Berufsschullehrerin, die durch einen Hörsturz 2014 beidseits hochgradig schwerhörig wurde. 2015 wurde daher eine CI-OP rechts (bei Hörgerät-Versorgung links) vorgenommen, sechs Wochen später erfolgte die Sprachprozessor-Ersteinstellung. Fr. S. kam schon relativ schnell ziemlich gut in der Kommunikation im Zweiergespräch und kleinen Gruppen zurecht, hatte aber Probleme beim räumlichen Hörvermögen sowie bei stärkeren Hintergrundgeräuschen (größere Gruppen). Neben der obligatorischen logopädischen und technischen Optimierung standen auch die Fragen zu einer beruflichen Re-Integration, die Möglichkeiten der Teilhabe im privaten Umfeld (Fr. S. ist gewählte Gemeinderätin) sowie die Akzeptanz und Auseinandersetzung mit den Folgen der plötzlich aufgetretenen Hörbehinderung im Raum. Die ambulante Nachsorge durch das operierende Zentrum wurde daher bei Fr. S. durch einen stationären Reha-Aufenthalt ergänzt.

Wie im geschilderten Fall gilt: Je akuter die Entwicklung hin zu einer versorgungspflichtigen Schwerhörigkeit verlaufen ist, desto wichtiger ist, dass der Betroffene sich mit den Auswirkungen der Kommunikationsbehinderung auseinandersetzt, die zumindest teilweise nach der Implantation fortbestehen. Die Erreichbarkeit der Ziele hängt von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren ab, die weder vorherzusehen noch in Gänze beinflussbar sind. Daher ist der maximal mögliche Nutzen für jeden Betroffenen nur individuell bestimmbar. Die vor der Implantation in Aussicht gestellten Erfolge sollten daher eher vorsichtig formuliert werden.

Hard- und Software des CI
In Analogie zum IT-Bereich erfolgt im Rahmen der CI-OP die Versorgung mit einer Hard- und Software, die aber ohne Schulung des Nutzers nur Stückwerk bleiben kann. Die Rehabilitation beginnt  in dem Moment, wenn Hard- und Software zur Verfügung stehen (ca. 4-6 Wochen nach OP). Mit "learning by doing" kann sich der CI-Neuling sicher einige Grundlagen erarbeiten. Ohne professionelle Unterstützung des Technikers für die Einstellung des Sprachprozessors sowie das abgestimmte Üben mit dem logopädischen Team wird der Betroffene aber in der Regel eine differenziertere und facettenreichere Nutzung nicht erreichen können. Fortschritte hängen, anders als bei der Einrichtung eines PC's, auch von individuellen Gegebenheiten ab, wie: die Dauer der Hörbehinderung, das Alter des Patienten, sein soziales Umfeld, seine subjektiven Erwartungen. 

Der Patient muss selber ran
Es ist weder ambulant noch stationär damit getan, seine Therapiestunden zu absolvieren, darüber hinaus aber nicht selbst zu trainieren. Mittlerweile stehen von allen großen CI-Firmen  Trainings-CD's zum Hörtraining zur Verfügung, die anfangs unter Anleitung, dann aber in Eigenregie zum Üben genutzt werden sollten. Auch Hörbücher bieten Herausforderungen und Anregungen für jeden Geschmack.

Zunächst sollte daher durch ein auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmtes ambulantes Therapieangebot versucht werden, die angestrebten Ziele der Versorgung zu erreichen. Sollte dies - aus welchen Gründen auch immer - nicht gelingen, so kann über eine stationäre Rehabilitation in einem kurzen Zeitraum mit zeitlich komprimierten und fachlich breit aufgestellten Therapieangeboten eine Optimierung versucht werden.

Der optimale Zeitpunkt für eine stationäre Therapie ergibt sich aus dem Fortschritt der bisherigen Therapie. Das  kann  nach einem halben Jahr oder auch nach vielen Jahren der Fall sein. Erfolgt die Reha erst zu einem späteren Zeitpunkt, spielt das Vermitteln der Motivation zu einem erneuten Anlauf eine nicht unwesentliche Rolle.

Indikationen zu einer stationären statt ambulanten Rehabilitation können sein:

  • bisher unzureichende Auseinandersetzung mit Auswirkungen der Kommunikations-behinderung
  • subjektiv oder objektiv nicht ausreichender Benefit nach CI-OP und Erstanpassung
  • berufliche Probleme, unklare berufliche Perspektive
  • psychische Begleiterkrankungen
  • hohes Alter
  • Mehrfachbehinderung
  • Deutsch nicht als Muttersprache

Unstrittig ist heute, dass eine individualisierte, gezielte, multi-professionelle Rehabilitation nach der Implantation ganz wesentlich über den Erfolg entscheidet. Ob dies in einem stationären oder ambulanten Rahmen erfolgt, ist dabei eher sekundär. Darüber hinaus spielt die Motivation, die Fähigkeit und die Eigenverantwortung des CI-Trägers für die Rehabilitation und den letztlich individuell möglichen Erfolg eine zentrale Rolle.

Dr. Volker Kratsch,
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Abteilung Hörbehinderung und Tinnitus

Helios Kliniken Bad Grönenbach
Klinik Am Stiftsberg, Fachklinik bei Hörbehinderung und Tinnitus,
Innere Medizin, Kardiologie, Orthopädie und Unfallchirurgie
Klinik für Psychosomatische Medizin, Akut- und Rehabilitationsklinik
Sebastian-Kneipp-Allee 3-5 - 87730 Bad Grönenbach

Vita:
Dr. Volker Kratzsch, 1979-1985 Studium der Humanmedizin an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; 1985 Approbation; 1985-1994 Assistenzarzt und Facharztausbildung Innere Medizin, Evang. Krankenhaus Bergisch Gladbach; 1994-1996 Oberarzt Baumrainklinik Bad Berleburg, Abt. Innere Medizin, Hörstörungen, Tinnitus; seit 1997 Chefarzt der Abt. Hörbehinderung, Tinnitus und Schwindel, Klinik Am Stiftsberg Bad Grönenbach; seit 2007 Ärztl. Direktor der Helios Klinik Am Stiftsberg Bad Grönenbach und seit 2013 Ärztlicher Direktor für den Helios-Standort Bad Grönenbach.

Foto: Helios Kliniken Bad Grönenbach


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