27. November 2020

Frühförderung: Ein partnerschaftliches Miteinander

Enrica Veronesi arbeitet in der Frühförderung hörgeschädigter Kinder. Hier schildert die Heilpädagogin, wie ein Erstbesuch in den Familien abläuft, worauf es ihr dabei ankommt und wie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gelingt.

 
Spielerisch fördern: Therapiestunde in der Interdisziplinären Frühförderstelle am Zentrum für Hörgeschädigte Nürnberg. Foto: privat

„Hallo! Ich bin die Frau Veronesi. Ich komme von der Frühförderung.“ Mit dieser oder einer ähnlichen Begrüßung stelle ich mich kurz vor, wenn ich zum ersten Mal eine Familie besuche, die sich für die hörgeschädigtenspezifische Frühförderung ihres Kindes durch unsere Interdisziplinäre Frühförderstelle entschieden hat. Wir treffen die Kinder und ihre Eltern – manchmal auch Geschwister – nicht nur in den Räumen der Frühförderstelle, sondern besuchen sie auch in ihren Kitas oder zuhause.

Meist werde ich freundlich hereingebeten und ziehe zunächst respektvoll meine Schuhe aus, wie auch bei meinem ersten Besuch bei Familie K. Hinter Frau K.s Rücken entdecke ich bereits Laura (Name geändert), die mich interessiert aber schüchtern mustert, um dann sofort im Wohnzimmer zu verschwinden. Ihre Mutter führt mich in den Raum, und nach kurzem Smalltalk über die schöne Wohngegend und die Anreise knie ich mich auf den Boden und stelle meine Tasche mit einigen Spielsachen neben mir ab. Auf meinen Schoß nehme ich eine Stoffkatze, die mich stets begleitet und mir als Eisbrecher und im weiteren Verlauf der Förderung oft als Symbol für Beginn und Ende der Förderstunde dient. Ich wähle stets einen Sitzplatz auf dem Boden oder in Bodennähe, um die Kontaktaufnahme zum Kind zu erleichtern.

Während ich mich mit Frau K. unterhalte, springt Laura in ausreichendem Sicherheitsabstand zwischen uns herum. Frau K. erzählt mir ein bisschen von ihrer Tochter, informiert mich über die Vorgeschichte. Ich höre ihr aufmerksam und interessiert zu, stelle hin und wieder eine Frage, vermeide es aber, mir Notizen zu machen – es soll nicht die Atmosphäre eines Verhörs entstehen. Die Hörschädigung ihrer Tochter und die Organisation sowie der inhaltliche Ablauf der Frühförderung stehen in unserem Gespräch im Hintergrund. Natürlich ist das Bedürfnis der Eltern nach Information und Beratung ernst zu nehmen. Auch können bereits im ersten Gespräch eventuell bestehende Ängste oder Misstrauen zum Ausdruck kommen. Meist kann aber durch aktives Zuhören und empathisches Spiegeln gut vermittelt werden, dass im weiteren Verlauf der Frühförderung Zeit und Raum für diese Themen sein wird.

Meine Erfahrungen zeigen, dass eine fruchtbare Zusammenarbeit im Rahmen der Frühförderung nur möglich ist, wenn es mir gelingt, eine Beziehung zur Bezugsperson aufzubauen – eine Beziehung auf Augenhöhe, im Sinne einer Partnerschaft. Daher erscheint mir ein Überhäufen mit Informationen und Beratung in Bezug auf die Förderung des Kindes beim ersten Termin nicht sinnvoll. Vielmehr sollen das Kennenlernen und vor allem die Kontaktaufnahme mit dem Kind an erster Stelle stehen. Eine positive Beziehung zum Kind erleichtert mir auch den Beziehungsaufbau zur mitarbeitenden Bezugsperson. Für die meisten Eltern beginnt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit dann, wenn sie spüren, dass ihr Kind vertraut. Deshalb winke ich Laura hin und wieder mit der Pfote meines Stofftieres zu und lächle sie an. So hat sie die Möglichkeit, das Kontaktangebot anzunehmen oder mich lieber doch noch ein Weilchen aus sicherer Entfernung zu beobachten. Nachdem sie zunehmend mutiger wird und inzwischen schon neben ihrer Mutter sitzt, frage ich sie einfach, ob sie der Katze vielleicht die Schuhe ausziehen will. Das hält sie wohl für eine gute Idee, denn sie kommt auf mich zu, schnappt sich schnell die Schuhe und trägt sie weg. Dabei bekomme ich sogar ein verschmitztes Lächeln

Nach einiger Zeit – Laura bringt ihrer Mutter immer wieder Bilderbücher – ermuntere ich die Mutter, sich in Ruhe mit ihrer Tochter zu beschäftigen. Offenbar genießt die Kleine die Aufmerksamkeit, und ich kann währenddessen gut beobachten, wie die beiden miteinander umgehen und kommunizieren. Dabei gebe ich sowohl Laura als auch ihrer Mutter positives Feedback und zeige ihnen meine Anerkennung. Nun interessiert sich das Mädchen für die Sachen in meiner Tasche. Ich habe ein paar Musikinstrumente mitgebracht, weil ich im telefonischen Vorgespräch mit der Mutter erfahren habe, dass Laura Musik liebt und sehr gerne trommelt. Die Frage nach den Vorlieben des Kindes und den aktuellen Interessen hat sich in meiner Arbeit sehr bewährt. Unvorstellbar, wenn bei meinem ersten Besuch bei der Familie nichts in meiner Tasche wäre, was das Interesse des Kindes weckt! Gerne lasse ich Eltern auch den Tagesablauf ihres Kindes beschreiben und gewinne so ein umfassendes Bild von der Lebenswelt, den Fähigkeiten, den Stärken des Kindes und auch den anstehenden Entwicklungsaufgaben.

Nachdem ich noch ein paar wichtige Informationen weitergegeben habe, möchte ich mit Frau K. den nächsten Termin vereinbaren. Laura nestelt inzwischen in meinen Haaren und interessiert sich sehr für meinen Schmuck. Puh! Das Eis ist gebrochen. Ich verlasse ein fröhliches Kind und eine zufriedene Mutter und freue mich auf den nächsten Besuch!

 
Enrica Veronesi
Heilpädagogin am Zentrum für Hörgeschädigte in Nürnberg

Erfahrungsbericht: 

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In der 11. Folge des Online-Formats „Lautstark – Der Talk rund ums Hören“ lautete die Frage „Frühförderung: Spielstunde für Kinder oder Elterncoaching?". Die Klinische Linguistin und Hörgeschädigtenpädagogin Gisela Batliner gab Antworten. 


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