Forderungen der Hörbehindertenverbände DHV, DCIG und DSB

Der Deutsche Hörverband e. V. (DHV) mit seinen Mitgliedern aus den Selbsthilfeverbänden Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e. V. (DCIG) und Deutscher Schwerhörigenbund e. V. (DSB) vertreten die Interessen hörbehinderter, überwiegend lautsprachlich kommunizierender Menschen in Deutschland. Gemeinsam setzen wir uns für die Rechte von Menschen mit Hörbeeinträchtigunge und gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen sowie für eine bedarfsgerechte Gesundheits- und Hilfsmittelversorgung ein.

Berlin/Freiburg im März 2025. Hörstörungen zählen zu den dritthäufigsten Erkrankungen in den Industrieländern. In Deutschland leben Schätzungen zufolge bis zu 16 Millionen mit einer Hörminderung unterschiedlicher Ausprägung. Etwa 3,7 Millionen Menschen sind mit Hörsystemen versorgt. Bei starkem Hörverlust kann ein Cochlea-Implantat Hören und Sprachverstehen wieder ermöglichen.

Dennoch bleibt die Schwerhörigkeit oft un- oder zumindest unterversorgt. Und bis zu einer Million Menschen in Deutschland sind so hochgradig schwerhörig oder ertaubt, dass ein Hörgerät nicht mehr ausreichend hilft und ein Cochlea-Implantat in Frage kommt. Die Unterversorgung erhöht das Risiko für körperliche und seelische Erkrankungen wie Depressionen oder Demenz. Eine gute Hörversorgung ist daher entscheidend – nicht nur für die Lebensqualität, sondern auch für den Erhalt der Gesundheit und, je nach Alter, der beruflichen Leistungsfähigkeit. Der Deutsche Hörverband e. V. und seine Mitgliedsverbände setzen sich daher für eine gute Versorgung von Menschen mit Hörbeeinträchtigung und den Abbau der Versorgungslücke bei Hörgeräten als auch bei Hörimplantaten ein.

Hörbeeinträchtigungen sind nicht sichtbare Behinderungen. Die Bedarfe von Menschen mit Hörminderung werden daher oft übersehen, wenn es um Teilhabe und Inklusion geht. Im Alltag stoßen Menschen mit Hörminderung oft auf Hörbarrieren, die ihre gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschweren oder verhindern. Inklusion ist ein gesellschaftlicher Auftrag. Dafür braucht es barrierefreie Kommunikation, ein gesellschaftliches Bewusstsein für Höranstrengung und Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Hörsystemen. Mit Blick auf die neue Regierungsbildung 2025 unterstützen wir die Forderungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. und erweitern sie um hörspezifische Themen in den Bereichen Teilhabe, Barrierefreiheit, Partizipation, Gesundheitsversorgung, Pflege und Alter sowie Hilfsmittelversorgung. Der Deutsche Hörverband e. V. und seine Mitgliedsverbände verstehen sich als Verbände der Vielfalt. Menschen mit Hörbehinderung gehören selbst zur Gruppe marginalisierter Personen. Wir solidarisieren uns daher mit anderen Gruppen, die von ausgrenzenden, diskriminierenden und menschenfeindlichen
Äußerungen und Handlungen betroffen sind.

Forderungen für eine hörbarrierearme Gesellschaft

Forderung 1: Teilhabe in allen Lebensbereichen

  • Teilhabe in allen Lebensbereichen ist nur möglich, wenn hörbarrierefreier Zugang zu Information und Kommunikation selbstverständlich werden, das heißt von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen ohne besondere Erschwernis und ohne fremde Hilfe genutzt werden können. Dies umfasst Kommunikationshilfen wie drahtlose akustische Übertragungsanlagen,
    Untertitel, Verschriftlichung zum Beispiel durch Schriftdolmetschung oder Gebärdensprachdolmetschung. Verstehen allein durch Hören gilt allzu oft als selbstverständlich. Andere Formen der Wahrnehmung und Kommunikation werden von der
    Mehrheitsgesellschaft oft ignoriert oder abgelehnt. Dieser Ableismus bedeutet eine strukturelle Benachteiligung für Menschen mit Hörbeeinträchtigung. Es muss endlich anerkannt werden, dass es verschiedene Wege der Kommunikation gibt, und Barrieren müssen systematisch abgebaut werden. Ein effektiver Diskriminierungsschutz erfordert daher nicht nur Kommunikationshilfen, sondern auch ein gesellschaftliches Umdenken: hörbarrierefreie Kommunikation und Information müssen als selbstverständlicher Standard etabliert werden – in Bildung, Beruf, Politik und öffentlichem Leben.
  • Inklusive Bildung umsetzen: Lebenslanges Lernen ist in einer alternden Gesellschaft unabdingbar. Der Zugang zu Wissen darf nicht vom Hörvermögen abhängen! Verschriftlichung, andere Kommunikationshilfen, technische Hilfen wie drahtlose akustische Übertragungsanlagen und eine optimierte Raumakustik müssen verbindlicher Standard
    werden für Vorträge, Diskussionen und Lerninhalte – nicht nur in der Schule, sondern auch in beruflichen Fort- und Weiterbildungen.
  • Schrift- und Gebärdensprachdolmetscher und andere Assistenz: Verfügbarkeit verbessern, Ausbildung fördern und bundesweit einheitliche Leistungs- und Entgeltkataloge einrichten. Arbeitnehmende im Grenzgebiet einer Region mit niedrigeren Sätzen als in der benachbarten Region finden sonst keine Assistenz.
  • Automatische Transkription des gesprochenen Wortes bei Besprechungen und Videokonferenzen ist eine Unterstützung für Teilnehmende mit leichterer Hörschädigung. Die Datenschutzbedingungen sind rechtssicher zu klären, so dass dieses Verfahren auch in datenschutzrechtlich sensiblen Prozessen eingesetzt werden kann.
  • Die Peer-Beratung der EUTB (Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung) ist ein Erfolg und unbedingt weiter zu fördern! Für Sinnesbehinderung sollen wieder SchwerpunktBeratungsstellen eingerichtet werden.

Forderung 2: Barrierefreiheit

  • Umsetzung von Standards für hörbarrierefreies Bauen: Schlechte Raumakustik stellt nicht nur für Menschen mit Hörbeeinträchtigung, sondern auch für Menschen mit Deutsch als Zweitoder Fremdsprache eine Barriere dar. In öffentlich zugänglichen Bauten ist die Hörsamkeit nach DIN 18041 umzusetzen. Weitere einschlägige Normen sind zu berücksichtigen – z. B. DIN 32984, DIN EN ISO 3382, die Richtlinien zur Barrierefreiheit und auch die VDE-Richtlinien und das Zwei-Sinne-Prinzip zu beachten. Beschallungsanlagen zur Übertragung des Sprachsignals dienen dem Abbau von Kommunikationsbarrieren und daher vor allem dort notwendig, wo viele Menschen zusammenkommen, insbesondere in Bildungs- und Kultureinrichtungen, in Stadien und Plenarsälen von Kommunen, Ländern und Bund. Auf sachgerechte Mikrofontechnik ist zu achten. Überall dort, wo Beschallungsanlagen eingebaut werden, sind gemäß DIN 18040-1 auch drahtlose akustische Übertragungsanlagen zu installieren.
  • Barrierefreie Mobilität: Der öffentliche Verkehr muss konsequent das Zweisinnesprinzip umsetzen. Informationen und Alarmsignale sollten in Echtzeit ohne Internetverbindung bereitgestellt werden. Eine drahtlose Übertragung von Ansagen direkt ins Hörsystem ist unerlässlich.
  • Notrufsysteme: Das Zweisinnesprinzip ist bei Notrufen in Aufzügen und an Notrufsäulen anzuwenden. Durchsagen von Warninformationen müssen schriftlich dargestellt werden.

Forderung 3: Partizipation

  • Mehr Bewusstsein schaffen für Hörbarrierefreiheit! In vielen Partizipationsprozessen sind die Aspekte der Zugangsbarrierefreiheit bei Mobilitätseinschränkung bewusst, aber Nutzbarkeit und Auffindbarkeit werden vergessen.
  • Es müssen Mittel bereitgestellt werden für Hörbarrierefreiheit bei ehrenamtlichem Engagement. BTHG § 78 Assistenzleistungen Absatz (5) ist zu restriktiv und unzureichend. Außerdem fehlt jegliche Unterstützung für technische Hilfen.
  • Damit die Betroffenen bei politischen Entscheidungsprozessen aktiv mitgestalten und Einfluss nehmen können, müssen (finanzielle) Mittel für kommunikative Barrierefreiheit wie Hörtechnik und Schriftverdolmetschung bereitgestellt werden.
  • Veranstaltungen und Angebote der politischen Willensbildung und Beteiligungsverfahren der öffentlichen Hand sollen verbindlich hörbarrierefrei zu gestalten sein.

Forderung 4: Gesundheitsversorgung

  • Maßnahmen zur Prävention von Hörbeeinträchtigung insbesondere durch Lärm: Faktoren und Schutzmaßnahmen sind bereits bekannt. Kampagnen müssen das Bewusstsein oder Schutz im privaten Bereich fördern (z.B. Musikhören, Lärmschutz bei hobbymäßigen  Handwerksarbeiten).
  • Maßnahmen zur Bewusstseinsstärkung für die Folgen unversorgter Hörbeeinträchtigung (verringerte berufliche Chancen, frühe Arbeitsunfähigkeit, Isolation, Demenzrisiko u.a.)
  • Screening: Hörtests sollen in den Katalog der Vorsorgeuntersuchungen ab einem Alter von 50 Jahren aufgenommen werden.
  • Bei der Krankenhausreform wird es vorkommen, dass Cochlea-Implantat-operierende Kliniken die Zulassung für diese Leistungsgruppe verlieren. Dann muss die lebenslange Nachsorge der bereits operierten Patienten samt Kostenübernahme an einer anderen Klinik gewährleistet werden. Die Fallzahlen dürfen auf keinen Fall gekürzt werden, da jetzt eine Unterversorgung besteht.
  • Aktionsplan Barrierefreies Gesundheitswesen, Abschnitt 2.1.3. Barrierefreie Kommunikation: Sicherstellen, dass nicht nur Gebärdensprach- sondern auch Schriftdolmetscher und andere Kommunikationshilfen finanziert werden und ausreichend verfügbar sind. Kommunikationshilfe muss in den Behandlungs- und Pflegeablauf eingebunden werden.
  • Offenlegen der Pläne und Einbeziehen der Selbsthilfeverbände der Hörbeeinträchtigen bei Änderungen an den Versorgungsmedizinischen Verordnungen zur Feststellung des Grads der Behinderung bei Hörschädigung

Forderung 5: Pflege und Alter

  • eine an die Behinderung und Kommunikation angepasste abrechenbare Behandlungs- und Pflegedauer
  • Hör- und Kommunikationsstatus müssen bei der Demenzdiagnostik gleich am Anfang konsequent überprüft werden (Verwechslungsgefahr).
  • Wie im Aktionsplan Barrierefreies Gesundheitswesen in Abschnitt „4.1. Ausbildung, Studium sowie Fort- und Weiterbildung“ postuliert: Einwirken auf die Bundesländer, dass der Umgang mit Hörbeeinträchtigung und der Hilfsmittel in Pflege und Behandlung in Ausbildung des Fachpersonals aufgenommen wird.
  • bauliche Barrieren abbauen (Raumakustik verbessern, optische Anzeigen, FM-Anlagen in Krankenhäusern und Pflegeheimen...), auch bei Bestandsbauten.
  • in Pflegeheimen regelmäßige und fachkundige Wartung der Hörsysteme durch Hörakustiker
    sicherstellen

Forderung 6: Hilfsmittelversorgung

  • Insbesondere in der Hörgeräteversorgung ist das derzeit geltende Recht des Sachleistungsprinzips mit definiertem Leistungsumfang hinsichtlich Technik, Anpassung und Nachsorge beizubehalten. Also kein Wechsel von Festbeträgen zu Festzuschüssen ohne festgelegten (Mindest-)Leistungsumfang.
  • Der in 2022 das letzte Mal definierte Leistungsumfang „medizinisch ausreichend“ für Festbetrags-Hörgeräte ist zu aktualisieren.
  • Die ab 2022 von den Krankenkassen eingeführte stillschweigende Verlängerung der Regelversorgungszeit mit Hörgeräten über den Zeitraum von 6 Jahren hinaus steht im Widerspruch zur Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses und ist deshalb rechtswidrig. Sie muss zurückgenommen werden.
  • Der Versorgungsweg bei Hörgeräten über die Hörgeräteakustiker muss beibehalten werden. Ihre fachliche und handwerkliche Kompetenz ist wichtig für individuellen Behinderungsausgleich und Akzeptanz der Hörsysteme.
  • Die Mehrkosten für sog. ICP-Hörgeräte für Arbeitnehmende in Lärmbereichen werden in den meisten Fällen weder von der Gesetzlichen Krankenversicherung noch von der Berufsgenossenschaft übernommen. Diese Finanzierung ist sicher zu stellen, auch für Betroffenen ohne anerkannte Schwerbehinderung.
  • Die Selbsthilfeverbände haben zwar einen Vertreter im G-BA (Gemeinsamen Bundesausschuss) Hilfsmittelversorgung mit Rederecht. Er müsste aber Stimmrecht bekommen und tatsächlich gehört werden.

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