9. Februar 2018

Löblich und schade

Andreas Kammerbauer hat den Koalitionsvertrag von Union und SPD geprüft. Er sieht Anlass zu Lob und einigem Tadel: „Es dürfte niemanden verwundern, wenn ich schreibe, Menschen mit einer Hörbehinderung tauchen im Koalitionsvertrag nicht auf.“

Natürlich kann nicht erwartet werden, dass Menschen mit einer bestimmten Behinderung besonders erwähnt werden. Menschen mit einer psychischen Erkrankung haben es dagegen geschafft.

Im Koalitionsvertrag heißt es auf der Seite 94: „Für alle Menschen mit Behinderungen, ob im allgemeinen Arbeitsmarkt oder in Werkstätten beschäftigt, wollen wir den vollen Zugang zu medizinisch-beruflicher Rehabilitation verbessern. Wir sehen dabei insbesondere für Menschen mit psychischer Erkrankung einen Nachholbedarf.“

Diese Aussage ist zwar zutreffend, aber das Augenmerk sollte vielmehr auf alle Menschen mit Behinderungen gesetzt werden.

Das Wort „Inklusion“ habe ich nirgends im Vertragstext gesehen. Dagegen gibt es ein Kapitel „Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“. Der erste Absatz beginnt mit einem Lob für die vergangene Wahlperiode:

„Menschen mit Behinderungen haben einen Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Mit dem Bundesteilhabegesetz haben wir einen wichtigen Schritt zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention getan. Seine Umsetzung werden wir in den kommenden Jahren intensiv begleiten und gleichzeitig die Teilhabe weiter fördern.“

Hierbei entsteht der Eindruck, dass die Kritik am BTHG nicht verstanden wurde. Auf jeden Fall werden wir dann sehen, wie die intensive Begleitung aussehen wird.

Im Bereich „Teilhabe an Arbeit“ wagt die Koalition ein neues Projekt. Sie will die Einführung eines Budgets für Ausbildung prüfen.

Darüber hinaus möchte die Koalition:

„Wir wollen zudem die Assistierte Ausbildung um zwei Jahre verlängern und weiterentwickeln. Darüber hinaus wollen wir gemeinsam mit den Akteuren der Arbeitsmarktpolitik klären, wie Teilqualifizierungen einen Beitrag leisten können, auch Menschen mit Beeinträchtigungen, die als nicht ausbildungsfähig gelten, einen schrittweisen Einstieg in eine anerkannte Ausbildung nach § 66 Berufsbildungsgesetz (BBIG) oder § 42m Handwerksordnung (HwO) zu ermöglichen. Inklusionsbetriebe werden wir weiter fördern. Wir wollen die Werkstätten für behinderte Menschen unterstützen, ihr Profil entsprechend neuer Anforderungen weiterzuentwickeln und dem Wunsch der Menschen mit Behinderungen nach Selbstbestimmung Rechnung zu tragen.

Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit werden wir die Ursachen der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen genau analysieren und passgenaue Unterstützungsangebote entwickeln. Wir wollen die Meldepflicht an die Arbeitsagenturen für offene Stellen im öffentlichen Dienst, die von einem Menschen mit Schwerbehinderung besetzt waren, wiedereinführen. Das betriebliche Eingliederungsmanagement wollen wir stärken.“

Zur Barrierefreiheit gibt es eine interessante Aussage. Sie wollen in die Barrierefreiheit investieren. Sehr löblich !

„Wir wollen Anreize auch durch Förderprogramme zur Verbesserung der Barrierefreiheit in den Kommunen setzen (z. B. Einsatz leichter Sprache und Gebärdendolmetscher, mobile sanitäre Anlagen, barrierefreie Veranstaltungen).“

Eine Forderung seitens der Organisationen von Menschen mit Behinderungen hat sich die Koalition ein wenig zu Herzen genommen:

„Im Rahmen der Weiterentwicklung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) werden wir prüfen, wie Private, die Dienstleistungen für die Allgemeinheit erbringen, angemessene Vorkehrungen umsetzen können. Ein erster Schritt wird den Gesundheitssektor betreffen.“

Das große Thema „Digitalisierung“ eröffne nach Ansicht der Koalition neue Teilhabechancen insbesondere für sinnesbehinderte und mobilitätseingeschränkte Menschen. Welche neue Teilhabechancen eröffnet werden, wird leider nicht geschildert.

Dies soll ein Schwerpunkt im Nationalen Aktionsplan werden.

Weitere Hoffnungen können wir uns bei einem Schwerpunktthema machen:

„Wir werden darauf hinwirken, dass die Produzenten der Medien ihren Verpflichtungen nachkommen, zugängliche und barrierefreie Angebote in Film, Fernsehen und Print anzubieten. Dabei haben die öffentlichen Medien eine Vorbildfunktion.“

Schön ist es auch, dass die unabhängige Teilhabeberatung durch eine Weiterführung der Finanzierung verlässlich geschützt werden soll.

Über die Medien war zu erfahren, dass im Vertrag ein Abschnitt sich mit „Heimat“ befassen würde. Dort tauchen viele Begriffe auf. Aber ein Begriff fehlte eindeutig bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland. Es ist das Zauberwort „Barrierefreiheit“.

Die Bereiche Pflege, Gesundheit und Rente habe ich jetzt aus Zeitgründen gespart.

Andreas Kammerbauer
Gesundheits- und sozialpolitischer Sprecher
Deutscher Schwerhörigenbund e.V.
Sophie-Charlotten-Str. 23a
14059 Berlin
T: 030-47541114, Fax: 030-47541116
Mail: Andreas.Kammerbauer@schwerhoerigen-netz.de


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