5. Januar 2021

Politische Selbstvertretung: „Wir werden nur gehört, wenn wir laut sind“

Annalea Schröder ist gebürtiges Nordlicht, CI-Liebhaberin – und seit Anfang Dezember 2020 politische Referentin des Selbsthilfeverbandes DCIG. 

DCIG-Mitarbeiterin Annalea Schröder 

Vor einem Jahr hast du ein Praktikum bei der DCIG absolviert (siehe Schnecke Nr. 107), nun trittst du in der Geschäftsstelle deinen neuen Job an und widmest dich der Vertretung der Interessen von Hörgeschädigten auf politischer Ebene. Worauf freust du dich besonders?

Die Belange von Hörgeschädigten sichtbarer zu machen. Das Thema Schlecht Hören ist oft ein Nischenthema, über das zu wenig Menschen selbstbewusst sprechen. Hier freue ich mich darauf, meinen Beitrag dazu zu leisten, das Thema präsenter zu machen.

Welche Rolle spielt Selbsthilfe für dich persönlich?

Ich bin selbst erst 2018 zur Selbsthilfe gekommen. Sie hat mir seitdem unglaublich viel gegeben, ich durfte viele tolle und inspirierende Menschen kennenlernen, habe neue Seiten an mir entdeckt und bin selbstbewusster geworden. All dies kann ich nun durch meine Arbeit bei der DCIG ein Stück weit zurückgeben. Mein Arbeitsmotto für die kommenden drei Jahre: „Make Selbsthilfe sexy (again)“.

Deine Stelle hat es vorher nicht gegeben. Was hast du dir für den Anfang vorgenommen?

Am Anfang steht sicherlich eine Bestandsaufnahme. Wo sind wir? Wo wollen wir hin? Und wie kommen wir dorthin? Dann werden die kommenden Monate zeigen, wie die Pandemie sich entwickelt und davon hängen auch weitere Pläne und Projekte ab. Kann auf Präsenztreffen gesetzt werden oder müssen wir uns eine digitale Strategie überlegen? Dies betrifft sowohl die Selbsthilfe als auch die politische Interessenvertretung.

Auf deinen neuen Job hast du dich auch mit deiner Masterarbeit zum Thema politische Interessenvertretung am Beispiel der DCIG vorbereitet. Welche Erkenntnisse nimmst du daraus mit?

Dass wir Hörgeschädigten aufgrund unserer Anzahl an betroffenen Personen eigentlich viel mehr Aufmerksamkeit bekommen müssten – auch und gerade auf der politischen Ebene. Positiv hervorzuheben ist der Zusammenhalt in unserer Community und die große Motivation, mit der viele Ehrenamtliche sich engagieren. Das sind wichtige Ressourcen, denen wir uns durchaus bewusst sein dürfen. Zudem haben wir gute Argumente auf unserer Seite, wenn es um die Interessen von Hörgeschädigten geht. Dabei denke ich zum einen an die Strategie „Spend2Save“: Wenn rechtzeitig in die Hörversorgung investiert wird, können hohe Folgekosten einer unversorgten Hörminderung vermieden werden. Zum anderen nutzen viele Dinge, die für hörbeeinträchtigte Menschen wichtig sind, auch guthörenden. Eine gute Raumakustik mit schalldämmenden Maßnahmen beispielsweise mindert den Stress von uns allen, sei es in der Schule, im Büro oder in öffentlichen Räumen.

Weshalb ist die politische Selbstvertretung so wichtig?

Weil wir nur gehört werden, wenn wir laut sind. Und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn wir nicht immer wieder an den entscheidenden Stellen auf unsere Bedürfnisse aufmerksam machen, wird sich nichts verändern. Darum freue ich mich natürlich sehr über Hinweise aus der Community zu Themen, die bearbeitet und Barrieren, die gebrochen werden sollen. Wenn mir vor drei Jahren jemand gesagt hätte, dass ich bald politische Interessenvertretung für Hörgeschädigte machen würde, hätte ich gelacht und das nicht geglaubt. Heute jedoch setze ich mich aktiv mit meiner eigenen Hörbehinderung auseinander und verstecke sie nicht mehr. Diese Wandlung verdanke ich der Selbsthilfe. Darum empfinde ich die Aufgabe, die Interessen von Hörgeschädigten in der Politik zu vertreten und die Hilfe zur Selbsthilfe zu unterstützen, als wahnsinnig wichtig. (ms)

Zur Person:
Annalea Schröder ist in Oldenburg geboren. Nach dem Abitur ging sie 2011 für das Bachelorstudium nach Osnabrück. Danach arbeitete sie zwei Jahre als Projektassistentin in Hannover. 2018 folgte das Masterstudium (Politische Kommunikation) in Trier. Hochgradig schwerhörig geboren, wurde sie mit etwa 14 Monaten mit Hörgeräten versorgt und wuchs im lautsprachlich orientierten, hörenden Umfeld auf. Nach mehreren Hörstürzen bekam sie 2017 ihr erstes CI. Sie ist bimodal versorgt.
Kontakt: annalea.schroeder[at]dcig.de

Die Stelle wird finanziert über den Partizipationsfonds. Mehr über die Förderung erfahren Sie hier: 
Über 200.000 Euro Bundesförderung für die DCIG


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