3. März 2023

„Hörverlust kann zur nächsten gesundheitlichen Krise werden!“

Die Selbsthilfeverbände DSB, DCIG und DHV warnten anlässlich des Welttag des Hörens vor den Folgen unversorgter Hörschädigung. In Berlin machten sie sich im Rahmen eines parlamentarischen Frühstücks für eine bessere und gesicherte Hörversorgung in Deutschland stark. 

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Bei einem parlamentarischen Frühstück im Bundestag am 1. März informierten die Selbsthilfeverbände Deutscher Schwerhörigenbund e. V. (DSB), Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e. V. (DCIG) und ihr Dachverband, Deutscher Hörverband e. V. (DHV), Politikerinnen und Politiker des Deutschen Bundestags über Risiken und Folgen einer unzureichenden Hörversorgung. CI-Trägerin und Audiotherapeutin Jana Verheyen führte versiert durch die Veranstaltung. Dabei machte sie gleich zu Beginn auf die hohe Zahl unversorgter und unzureichend versorgter Menschen mit Hörschädigung in Deutschland aufmerksam. „Diese Menschen werden zu Zuschauern ihres eigenen Lebens“, sagte Verheyen. 

9 Millionen Menschen glauben hörgemindert zu sein

Dr. Stefan Zimmer als Vertreter des World Hearing Forums der WHO untermauerte die Aussage mit Zahlen unter anderem aus der Eurotrak-Studie von 2022. Demnach halten sich etwa neun Millionen Menschen für hörgemindert. „Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Betroffenen wesentlich höher ist“, sagte Zimmer. Von diesen Menschen, die von sich selbst sagen, dass sie ein Problem haben, lassen 19 Prozent ihren Hörverlust aber nicht diagnostizieren. Von den übrigen 80 Prozent erhalten am Ende nur die Hälfte ein Hörgerät.

Mehrheit der Menschen unversorgt

Die Mehreit jener, die ihren Hörverlust bereits als Problem identizifiert haben, bleiben also ohne Versorgung – mit weitreichenden Folgen: 39 Milliarden Euro an Kosten jährlich fallen einem Bericht von Bridget Shield aus dem Jahre 2019 allein in Deutschland durch unbehandelten Hörverlust, Gründe hierfür sind unter anderem eine notwendige Frühverrentung sowie die Behandlung von Folgeerkrankungen wie Depression und Demenz.

Nachholbedarf bei Aufklärung und Beratung

Bei Hörimplantaten ist die Quote der Versorgten noch niedriger, wie DSB-Präsident Dr. Matthias Müller ausführte: „Nur fünf bis sieben Prozent der Menschen, bei denen Hörgeräte nicht ausreichen und die beispielsweise von einem Cochlea-Implantat profitieren könnten, haben tatsächlich ein solches technisches Implantat.“ Eine Ursache sieht er unter anderem in fehlender Aufklärung.

Fehlende Informationen zu CI

80 Prozent der Deutschen mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust seien noch nie über das Cochlea-Implantat informiert worden. „Hier sehen Sie, welchen Nachholbedarf es in der Aufklärung und Beratung gibt“, sagte Müller. Er warnte die Anwesenden eindrücklich: „Wenn die Hörbeeinträchtigung nicht entsprechend erkannt, behandelt und versorgt wird, dann müssten wir damit rechnen, dass wir bis 2030 zu einer neuen gesundheitlichen Krise kommen“, sagte Müller.

Deutscher Hörverband kämpft gegen Versorgungslücke 

Um dies zu verhindern, will der neu geründete Deutsche Hörverband von DCIG und DSB die Kräfte der Selbsthilfeverbände bündeln und die Leistungserbringer zusammenbringen, um gemeinsam die Versorgungslücke anzugehen. „Es geht darum, Arbeitsunfähigkeiten, Umschulungen und Erschöpfungserscheinungen bis hin zu Suizidgedanken zu vermeiden“, sagte der Vorstandsvorsitzende Dr. Harald Seidler, und weiter: „Die Hörschädigung ist unter uns. Aber wir können etwas machen.“ 

Hörscreening ab 50

Ein Ansatz ist das Hörscreening ab 50, welches von Verbänden gefordert wird und im Zentrum der diesjährigen Kampagne zum Welttag des Hörens „ICH geHÖRE daZU!“ steht. Warum, das erläuterte Privatdozent Dr. Jan Löhler, Präsident des Deutschen Berufsverbandes der HNO-Ärzte (BVHNO). In seinem Vortrag verwies er auf die Gewöhnung an den zunehmenden Hörverlust. „Ich kann zum Arzt gehen, wenn ich ein Hörproblem habe, aber wer weiß davon schon?“, sagte Löhler. Um den unversorgten bzw. unzureichend versorgten Hörverlust zu kompensieren, wendeten Betroffene dann Kompensationsstrategien an: „Entweder ich bleibe zuhause oder ich sitze in der Diskussion und lächle immer schön oder ich sabbel die Leute tot und erzähle Anekdoten aus meinem Leben, um nicht zuhören zu müssen.“ 

Unterstützung aus der Politik

Unterstützende Worte kamen aus der Politik. Die Schirmherrin der Veranstaltung, Kristine Lütke (FDP), Ordentliches Mitglied im Gesundheitssausschuss des Deutschen Bundestags, verdeutlichte in ihrem Grußwort die Wichtigkeit den Hörsinns anhand von Alltagsbeispielen. „Gut zu hören ist essentiell für so viele Aspekte, ob Richtungshören, Sprachwahrnehmung oder auch die Auswertung und Verarbeitung von ankommenden Informationen in unserem Gehirn. Das alles wird deutlich schwerer, wenn der Hörsinn sich verschlechtert oder nicht richtig funktioniert“, sagte Lütke.

Sie wies auf den häufigen sozialen Rückzug Betroffener sowie auf das um ein Drittel erhöhte Risiko hin, im Alter auf Hilfe angewiesen zu sein. Auch Stürz- und Verletzungsrisiko steige an, sagte die ehemalige Pflegeunternehmerin. „Wir müssen die Bedeutung einer guten Hörgesundheit für Alt und Jung und eine regelmäßige Überprüfung des Hörsinns stärker zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe machen und ins allgemeine Bewusstsein rücken“, sagte Lütke. „Da sehe ich auch uns von der Politik mit in der Verantwortung. Wir können für diese einfache und doch so wichtige und effektive Präventionsmaßnahme werben.“ Denn eine frühe Vorsorge könne einen irreperablem Verlust des Gehörsinns verhindern. 

Welttag des Hörens hat große Bedeutung

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Sabine Dittmar (SPD), bedankte sich für das Engagement der Einladenden und sagte: „Der Welttag des Hörens steht symbolisch für jeden Tag, an dem wir uns bewusst machen sollten, wie wichtig es ist, auf sein Hörvermögen zu achten, welche Konsequenzen es hat, wenn man schwerhörig ist, nämlich der Verlust von Lebensqualität, aber auch von Sicherheit, aber er bedeutet eben auch den Verlust von Zugehörigkeit.“

Dittmar berichtete aus ihrer früheren Tätigkeit als Hausärztin von auffälligen Hörscreenings, bei denen sich die Betroffenen der eigenen Einschränkungen noch gar nicht bewusst waren. „Es ist ein schleichender Prozess, der Hörverlust, und er wird sehr spät diagnostiziert“, sagte Dittmar. Aus dieser Zeit habe sie aber auch mitgenommen, dass, je früher eine Hörminderung diagnostiziert und behandelt würde, desto besser sei die Akzeptanz der Technik. 

Barrierefreie Teilhabe

Wilfried Oellers (CDU/CSU), Teilhabebeauftragter seiner Bundestagsfraktion und Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, verwies wiederum auf die Notwendigkeit von barrierefreier Teilhabe für alle. „Sie ist Verpflichtung und Geschenk zugleich“, sagte Oellers. Der Ausgleich einer Hörbeeinträchtigung sei dabei ein ganz wichtiges Element für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. 

Im Anschluss an den offiziellen Teil folgte ein angeregter Austausch zwischen Podiumsteilnehmern und Gästen. Auch das Angebot eines Hörtests vor Ort nahmen viele der noch unversorgten Anwesenden wahr. Gastgeber Matthias Müller zeigte sich zufrieden mit der Veranstaltung:„ Nur gemeinsam mit engagierten Fürsprechern wird es uns gelingen, dass jeder von uns Zugang zu den benötigten Leistungen der Hörrehabilitation erhält, die er benötigt. Die überaus positive Resonanz auf unser heutiges Treffen zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ (ms)

Weitere Informationen zum Welttag des Hörens.


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