4. Oktober 2022

Wahlprüfstein 1: Übersetzungsfehler in der UN-Behindertenrechtskonvention

Die amtliche deutsche Übersetzung der UN-BRK enthält etliche Fehler, die in einer „Schattenversion“ korrigiert wurden. Darüber hinaus wurde das in der amerikanischen Urfassung verwendete Wort „DEAF“, das schwerhörige, ertaubte, gehörlose und taubblinde Menschen einschließt, wurde aus- schließlich mit „GEHÖRLOS“ übersetzt, so dass schwerhörige und ertaubte Menschen in der offiziel- len deutschen Fassung der UN-BRK nicht vorkommen und ihre Rechte übergangen wurden.

Wie bewertet Ihre Partei diese Wünsche, welche Schritte hält sie für denkbar? Welcher Zeitraum ist zu deren Erfüllung zu erwarten?  

Antwort der SPD: Das Niedersächsische Behindertengleichstellungsgesetz wurde in der laufenden Legislaturperiode novelliert. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sind Verbände und Interessengruppen umfassend involviert worden. Der Novelle vorausgegangen ist zudem ein vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales und Gesundheit initiierter langer Kosultationsprozess, an dem die Behindertenverbände, die Kommunalen Spitzenverbände sowie die Fachsprecher*innen der Landtagsfraktionen beteiligt waren. Die Hinweise und Änderungen der Verbände und Interessengruppen wurden im Verfahren weitgehend berücksichtigt. Und auch die Zusammensetzung der Behindertenbeiräte wurde gesetzlich neu geregelt. Zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) bauen wir zudem mit einer Millionen Euro ein Landeskompetenzzentrum auf, an das sich alle Betroffenen und ihrer Angehörigen mit allen Fragen wenden können. Darüber hinaus handelt es sich bei der Umsetzung der UN-BRK um einen dauerhaften Prozess, der auch in den kommenden Jahren regelmäßig angepasst werden muss. Die Hinweise und Anregungen des Deutschen Schwerhörigenbundes werden wir dabei auch weiterhin berücksichtigen und einfließen lassen.

Antwort der CDU: Niedersachsen stellt sich mit dem "Aktionsplan Inklusion" der Selbstverpflichtung, die UNBehinderten- rechtskonvention in Niedersachsen umzusetzen. Darin werden die konkreten Schritte und Maßnahmen zur Umsetzung der UN-BRK festgeschrieben. Da sich Sprache und die Bedeutung von Begriffen wandelt, sind für die Fortschreibung des Aktionsplans nicht die Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten und möglicherweise bestehende unterschiedliche Auffassungen über die korrekte Übersetzung entscheidend. Auch über eine geänderte Übersetzung gäbe es wieder Streit. Unseres Erachtens muss es darum gehen, den Geist der UN-BRK, die Menschen mit Behinderungen eine möglichst umfassende Teilhabe in allen Lebensbereichen ermöglichen will, zeitgemäß umzusetzen. Dies ist ein laufender Prozess, der wegen des technischen und gesellschaftlichen Wandels auch sich
ändernden Prioritäten unterliegt.


Antwort BÜNDNIS 90/ GRÜNE: Die amtliche deutsche Übersetzung der UN-BRK enthält eine ganze Reihe von Formulierungen, deren Bedeutung von der englischen Originalfassung abweicht. Das betrifft bspw. auch das Wort accessibility, das wortwörtlich mit Zugänglichkeit zu übersetzen wäre, sich in der deutschen Fassung aber mit dem deutlich weitgehenderen Begriff Barrierefreiheit wiederfindet. Eine Änderung der amtlichen deutschen Sprachfassung könnte nach Auffassung der Bundesregierung - anders als in Österreich vorgesehen – jedoch nur durch ein neues Vertragsgesetz erfolgen und würde damit ein zeit- und ab- stimmungsintensives Gesetzgebungsverfahren erfordern. Gleichzeitig schätzt die Bundesregierung den Mehrwert für die Rechtsanwendung als eher gering ein, weil für die Auslegung ohnehin die englische Originalfassung verbindlich ist. Vor diesem Hintergrund setzen wir uns vorrangig für konkrete Verbesserungen und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein.

Antwort DIE LINKE: Die Linke will die Teilhabe aller Menschen verbessern. Grundvoraussetzung dafür ist Barrierefreiheit – in jeder Hinsicht, beispielsweise baulich, kommunikativ und strukturell. Der Abbau von Hürden für behinderte Menschen und damit die Möglichkeit zur Teilhabe für alle ist also Ziel der Linken. Dazu gehört auch, dass die Beschäftigten, die diese Hürden abbauen, in diesem Fall Schriftdolmetscher*innen, angemessen bezahlt werden, damit der Beruf attraktiv ist und die Teilhabe nicht am Personalmangel scheitert.

Antwort FDP: Der von Ihnen angesprochene Übersetzungsfehler und insbesondere seine Auswirkungen sind bedauerlich. Wir werden uns für eine Korrektur einsetzen und können uns gut vorstellen, Ihrem Vorschlag zu folgen und nach der Wahl über den Bundesrat eine Initiative zur korrekten Übersetzung der BRK auf den Weg zu bringen. Die konkrete Umsetzung dürfte allerdings, einen Erfolg dieser Initiative vorausgesetzt, mehrere Jahre in Anspruch nehmen.


Hintergrund und Position des DSB

Da die amtliche deutsche Übersetzung der UN-BRK fehlerhaft ist, wurde vom Netzwerk Artikel 3 e.V. frühzeitig eine „Schattenversion“ erarbeitet. Die darin aufgelisteten Fehler wurden bisher nicht in Deutschland korrigiert. 

Ein wichtiger Fehler wurde jedoch auch in der „Schattenversion“ übersehen, wo es um Menschen mit Hörbehinderungen geht. Das in der amerikanischen Urfassung verwendete Wort „DEAF“, das schwerhörige, ertaubte, gehörlose und taubblinde Menschen einschließt, wurde ausschließlich mit dem Wort „GEHÖRLOS“ übersetzt. Schwerhörige und ertaubte Menschen kommen in der offiziellen deutschen Fassung der UN-BRK an wesentlichen Stellen, z.B. in Artikel 24, überhaupt nicht vor, ihre Rechte und Bedürfnisse wurden durch den Übersetzungsfehler praktisch übergangen. Dies widerspricht den sehr wesentlichen Zielsetzungen der UN-BRK nach Selbstbestimmung und Barrierefreiheit. Bereits im Jahre 2007 hat der Europäische Schwerhörgenverband EFHOH auf diese gravierenden Mängel hingewiesen. 

Dieser Übersetzungsfehler wurde in etlichen Gesetzen und Verordnungen übernommen, in denen die Belange gehörloser Menschen oft sehr ausführlich berücksichtigt sind, die gleichberechtigten Bedürfnisse und Rechte schwerhöriger und ertaubter Menschen jedoch gar nicht oder nur am Rande in Nebensätzen erwähnt werden. 

Eine weitere und überaus unerfreuliche Auswirkung ist die Tatsache, dass in den Nds. Landesbehindertenbeirat ein Funktionär des Gehörlosenverbandes berufen wurde, jedoch kein stimmberechtigter Vertreter der lautsprachlich orientierten schwerhörigen und ertaubten Menschen, welche die überwiegende Mehrzahl der Menschen mit Hörbehinderungen in Niedersachsen darstellen. Der DSB Nds. hat sich mehrmals gegen diese Diskriminierung gewehrt, jedoch leider erfolglos. Es wird nicht berücksichtigt, dass es sich um zwei völlig unterschiedliche Behinderungen handelt. In die Landesbehindertenbeiräte etlicher anderer Bundesländer wurden zwei Hörbehindertenvertreter berufen. 

Für Dolmetscherdienste werden Schriftdolmetscher*Innen in Niedersachsen niedriger bezahlt als Gebärdensprachdolmetscher*Innen, auch dies ist wohl eine Wirkung des BRK-Übersetzungsfehlers. Hier muss aus Sicht des DSB Nds. eine Angleichung erfolgen. Ebenso muss die Ausbildung von Schriftdolmetscher*Innen in Niedersachsen unterstützt und eine Anlaufstelle für hörbeeinträchtigte Menschen geschaffen werden. 

Die Schwerhörigenverbände von Schweden und Österreich konnten bereits vor einigen Jahren erreichen, dass in den jeweiligen offiziellen Übersetzungen das Wort „Deaf“ korrekt übersetzt wurde. 

Der DSB Nds. appelliert an die künftige Niedersächsische Landesregierung, nach der Wahl über den Bundesrat eine Initiative zur korrekten Übersetzung der BRK auf den Weg zu bringen. Nachfolgend sollte eine Korrektur von Gesetzen und Verordnungen des Landes Niedersachsen erfolgen, und hier vor allem die Zusammensetzung des Nds. Landesbehindertenbeirates geändert werden. 

Weitere Wahlprüfsteine

Neben Antworten der Parteien, sind dort Hinergründe und die Position des DSB Nds. aufgeführt.

 Autor der Prüfsteine ist der 1. Vorsitzende des DSB Nds., Rolf Erdmann. 


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