4. Oktober 2022
Wahlprüfstein 3: Barrierefreiheit in Praxen und Einrichtungen
Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Seniorenheime, Praxen von Ärzten und Therapeuten sind nur im Ausnahmefall barrierefrei für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen. Es müssen Maßnahmen erfolgen mit dem Ziel, die Kommunikation zu ermöglichen und zu erleichtern.
Dazu zählen zum Beispiel des 2-Sinne-Prinzips, Schallschutzmaßnahmen, Schulungen des Personals im Umgang mit Hörgeschädigten sowie den genutzten technischen Geräten. Bei Arztgesprächen dürfen Masken das Verstehen nicht beeinträchtigen. Es muss zuverlässig verhindert werden, dass eine Hörbeeinträchtigung mit ei- ner Demenzerkrankung verwechselt wird. Der Pflege-TÜV ist um das Kriterium Qualität der Kommunikation zwischen Pflegepersonal und hörbeeinträchtigten Pflegepatienten zu erweitern.
Welche Maßnahmen zur Verbesserung der vorbeschriebenen misslichen Situation wird Ihre Partei in der kommenden Legislaturperiode in Angriff nehmen? Beabsichti- gen Sie die Einbeziehung der zuständigen Selbsthilfeverbände, die sich als Betroffene mit die- sen Problemfeldern auskennen?
Antwort der SPD: Wie in der Erläuterung zur Fragestellung richtig dargestellt, sind in der laufenden Legislaturperiode auf unsere Initiative hin bereits gesetzliche Vorgaben entsprechend der Anregungen erstmalig in der Niedersächsischen Bauordnung und im Niedersächsischen Krankenhausgesetz aufgenommen worden. Außerdem wurden weitergehende Vorgaben im Nds. Krankenhausgesetz für Demenzerkrankte implementiert. Diese Vorgaben müssen jetzt auch im Sinne der Anregungen des Deutschen Schwerhörigenbundes von allen Beteiligten mit Leben gefüllt werden. Dafür werden wir uns auch in der kommenden Legislaturperiode einsetzen. Im Übrigen ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass die UN-BRK nicht nur von der Landesregierung umgesetzt werden muss, sondern von allen Akteuren auf allen Ebenen (Stichwort: Sicherstellung der Barrierefreiheit im eigenen Zuständigkeitsbereich). Mit uns wird das Land Niedersachsen auch zukünftig seinen Anteil leisten und geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Wir werden dabei auch weiterhin den engen Austausch mit den einschlägigen Verbänden, Interessengruppen und Betroffenen suchen und diese miteinbeziehen.
Antwort der CDU: Die Inklusion ist ein Menschenrecht und sollte heute längst selbstverständlich sein. Doch ist sie leider
in vielen Bereichen noch nicht konsequent umgesetzt. Deshalb werden wir mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben in der Gesellschaft schaffen. Dazu gehören das selbstständige Wohnen, ein barrierefreier Zugang zu Kulturangeboten und anderen Einrichtungen sowie die Teilhabe am Arbeitsleben. Zudem werden wir uns für mehr Barrierefreiheit in Krankenhäusern, Arztpraxen Therapieeinrichtungen und Apotheken einsetzen – für eine freie Wahl im Gesundheitswesen für alle. Ihre Hinweise zur Kommunikation zwischen Pflegepersonal und hörbeeinträchtigten Pflegepatienten sind wichtig. Wir werden das Amt eines niedersächsischen Pflegebeauftragten schaffen, der hier Verbesserungen initiieren wird.
Antwort BÜNDNIS 90/ GRÜNE: Die „therapieunterstützende Wirkung der kommunikativen Zuwendung“ ist für uns eine wichtige Komponente guter Gesundheitspolitik. Deshalb müssen die sprechende Medizin besser vergütet und Personalschlüssel insbesondere in der Pflege deutlich angehoben werden. Der Umgang mit hörgeschädigten Menschen und ihren Hilfsmitteln ist bereits Gegenstand der Pflegeausbildung, lebt jedoch von der praktischen Anwendung, die im Alltag der meisten Pflegekräfte jedoch vergleichsweise selten vorkommt. Die Einbeziehung von Betroffenen ist für uns in allen Bereichen der Politik selbstverständlich. Gerade in der Behindertenpolitik sind wir darauf angewiesen, dass Menschen mit Einschränkungen uns auf bestehende Barrieren und Probleme aufmerksam machen, die die meisten Politiker*innen aus eigenem Erleben nicht kennen. Mit unserem parteiinternen Vielfaltsstatut wollen wir zudem die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen verbessern und gezielt Barrieren auf dem Weg in Ämter und Mandate abbauen. Um die Barrierefreiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen voranzubringen, unterstützen wir den Auf- und Ausbau des Landeskompetenzzentrums Barrierefreiheit.
Antwort Die Linke: Die Qualität der Kommunikation ist immens wichtig, auch und besonders in therapeutischen oder pflegerischen Beziehungen. Daher danken wir Ihnen für den Hinweis, dass dies auch ein Kriterium unter anderem beim sogenannten Pflege-TÜV sein sollte. Wir prüfen gerne, wie wir uns dafür einsetzen können. Denn generell gilt für uns: Barrierefreiheit in jeglicher Hinsicht muss sowohl für den öffentlichen als auch den privatwirtschaftlichen Bereich als bindende Verpflichtung gelten. Öffentliche Inves- titionen und Fördergelder müssen an das Kriterium der Barrierefreiheit gebunden werden, u.a. bei Arztpraxen, medizinischen Einrichtungen. Selbsthilfeverbände gehören hier natürlich zu den Ansprechpartner*innen, um zu bewerten, ob die gestellten Maßstäbe noch aktuell sind und umgesetzt werden.
Antwort FDP: Inklusiv und bedarfsgerecht ausgestattete Einrichtungen sind für hörbeeinträchtigte Patienten und Pflegende Voraussetzung, um eine weitreichende Teilhabe zu ermöglichen, wir begrüßen daher die bisher getroffenen Regelungen und stehen Ergänzungsideen aufgeschlossen gegenüber. Hörstörungen stellen in der Pflege eine große Herausforderung dar, der begegnet werden muss. Wichtig ist, dass Pflegekräfte die bestmögliche Ausbildung erhalten, um diesen Herausforderungen begegnen und ihre Aufgaben erfüllen zu können. Hier sollte geprüft werden, wie das Land unterstützend tätig werden kann. In diesem Zusammenhang sollten die zuständigen Selbsthilfeverbände einbezogen werden. Die Idee, bei Feststellung der Pflege-Qualität in Pflege-Einrichtungen u. dgl. (der sogenannte Pflege-TÜV) auch nach der Qualität der Kommunikation zwischen Pflegepersonal und hörbeeinträch- tigten Pflegepatienten zu fragen, begrüßen wir. Im Rahmen einer möglichen Umsetzung sollte allerdings darauf geachtet werden, dass der daraus resultierende Mehraufwand möglichst gering gehalten wird, da die Pflegeeinrichtungen in Niedersachsen unter allgemein einem erheblichen bürokratischen Aufwand leiden und gerade im Bereich der Überprüfungen vieles mehrfach untersucht wird.
Hintergrund und Position des DSB
Seit vielen Jahren wird von den zuständigen Verbänden gefordert, dass Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Seniorenheime, Praxen von Ärzten und Therapeuten u.dgl. barrierefrei sein müssen, hier- unter ist u.a. auch die Berücksichtigung des 2-Sinne-Prinzips und das Ziel der Hörsamkeit durch Schallschutzmaßnahmen bei der Raumakustik zu verstehen. Diese Forderung wird von der BRK, der Nds. Bauordnung und dem Krankenhausgesetz unterstützt.
Das Personal dieser Einrichtungen muss über Kenntnisse im Umgang mit Hörgeschädigten sowie den genutzten technischen Geräten verfügen, um z.B. pflegebedürftigen Patienten wie Senioren oder Kindern die passende Hilfestellung geben zu können. Hierzu gehören u.a. Grundkenntnisse in Nutzung und Wartung technischer Hörhilfen, Funktionsprüfungen, Einstellen der Lautstärke, Batteriewechsel, Nutzung zusätzlicher technischer Hilfen, etc. Entsprechende Schulungsangebote für das Pflegepersonal müssen angeboten/ durchgeführt werden und die Teilnahme muss verpflichtend sein.
Sehr wichtig ist auch, dass die Kommunikationsfähigkeit in Arztgesprächen nicht durch Nutzung von Masken beeinträchtigt wird. Es muss verbindlich dafür gesorgt werden, dass hörgeschädigte Menschen ihr Recht auf vollständige Information wahrnehmen können. Bei Bedarf ist ein Dolmetscher hinzuziehen. Diese Forderung gilt auch für viele andere wichtige Bereiche des täglichen Lebens.
Es muss zuverlässig verhindert werden, dass eine Hörbeeinträchtigung mit einer Demenzerkrankung verwechselt wird, wegen der Ähnlichkeit einiger Symptome beider Behinderungen erfolgt dies durchaus hin und wieder. Hier sind entsprechende Schulungen der MDK-Pflegegutachter*Innen angezeigt.
Bei der Feststellung der Pflege-Qualität in Pflege-Einrichtungen u. dgl. (der sogenannte Pflege-TÜV) wird bisher nicht nach der Qualität der Kommunikation zwischen Pflegepersonal und hörbeeinträchtigten Pflegepatienten gefragt. Damit fehlt nach Auffassung des DSB Nds. ein wesentliches Kriterium für die Bewertung der Pflege-Qualität und der Barrierefreiheit. Die heilende oder zumindest therapieunterstützende Wirkung der kommunikativen Zuwendung darf nicht außer Acht gelassen werden, sie ist ein Maß für Wertschätzung und Achtung, die dem Pflegepatienten entgegengebracht wird.
Nach Auffassung des DSB Nds. muss seitens der Landesregierung erheblich mehr in dieser Zielrichtung geschehen. Private Initiativen, Selbsthilfeverbände und Behindertenbeiräte können nur für einen kleinen örtlichen Wirkungskreis tätig sein.
Weitere Wahlprüfsteine
Neben Antworten der Parteien, sind dort Hinergründe und die Position des DSB Nds. aufgeführt.
- Übersetzungsfehler in der UN-Behindertenrechtskonvention
- Barrierefreie Wahlkämpfe
- Barrierefreie Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen und ähnliches
- Ergänzung von Merkzeichen
- Ergänzung von Ausbildungsordnungen
- Mobiler Dienst in Schulen
- Aktionsplan der Landesregerung Niedersachsen zu Umsetzung der Behindertenrechtskonvention
- Situation von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt.
- Zahlung von Hörgeschädigtengeld
- Niedersächsische Bauordnung
Autor der Prüfsteine ist der 1. Vorsitzende des DSB Nds., Rolf Erdmann.
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