19. April 2021

DSB fordert besseren Zugang zu Cochlea-Implantaten 

Gezieltere Aufklärung und Unterstützung bei der Entscheidung für ein Cochlea Implantat – das forderte gestern der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. (DSB) beim ersten Parlamentarischen Abend zur Verbesserung der Versorgung schwer hörbeeinträchtigter Menschen in Berlin.

Annähernd 14 Millionen oder 19%[1] der Menschen in Deutschland leben demnach mit einer Hörbeeinträchtigung. Bei vielen stark hörgeschädigten Menschen reichen Hörgeräte nicht aus, doch weniger als 5% erhalten ein Hörimplantat. Dabei hat unbehandelte Schwerhörigkeit messbare persönliche und gesamtwirtschaftliche Folgen: Eine geringere Lebensqualität, Folgeerkrankungen und eine höhere Arbeitslosenrate unter den Betroffenen. Insgesamt entstehen dadurch in Deutschland jährlich Kosten von 39 Milliarden Euro[2]. Der vom DSB organisierte Parlamentarische Abend nahm sich die bessere Versorgung schwer hörbeeinträchtigter Menschen zum Thema und setzte sich mit den dringend benötigten politischen Strategien auseinander. 

Am Welttag des Hörens (3. März) nutzten Abgeordnete des Bundestags und der Landtage sowie Mitarbeiter:innen verschiedener Ministerien den vom DSB organisierten Parlamentarischen Abend, um sich über die Versorgung hörbeinträchtiger Menschen mit Cochlea-Implantaten (CI) zu informieren. Denn obwohl eine CI-Versorgung schwerhörigen Menschen enorme Chancen eröffnet, fehlt es an Strukturen, um allen Betroffenen einen schnellen Zugang zu umfassender Beratung und Diagnostik zu garantieren – so die einhellige Meinung der anwesenden Referent:innen. „Wenn Hörgeräte schwerhörigen Menschen keine ausreichende Hilfe mehr bieten und andere Therapieangebote ausbleiben, geht das für die Betroffenen mit erheblichen sozialen und gesundheitlichen Risiken einher“, erklärte Dr. Matthias Müller, Präsident des DSB. Zugleich verursache die unzureichende Hörversorgung hohe Kosten – sie sei daher auch von ökonomischer und gesellschaftlicher Relevanz. „Die Versorgung mit qualitativ hochwertigen Cochlea-Implantaten verhilft vielen hörgeschädigten Menschen zu mehr Teilhabe und Lebensqualität. Doch sie ist viel zu oft mit schier unüberwindbaren Hindernissen verbunden.“ 

Die CI-Versorgung gehört bereits vielerorts zur Routine[3]. Dennoch haben Betroffene viele Fragen und eine Entscheidung fällt ihnen nicht immer leicht. Genau hier ist es wichtig, hörbeeinträchtigte Menschen besser zu unterstützen. Dafür warben auch die anwesenden Referent:innen und gaben Einblicke in die Lebenswirklichkeit von Betroffenen.

So informierte Ursula Soffner, Vizepräsidentin des DSB und selbst CI-Trägerin, über ihren Weg zum besseren Hören. „Dass es für mich die Option einer Versorgung mit dem Cochlea-Implantat gibt, erfuhr ich erst nach jahrelanger vergeblicher Suche.“, so Soffner, „Ob mein Wiedereinstieg ins Berufsleben, meine ehrenamtliche Tätigkeit im DSB oder auch meine Mitgliedschaft in einem Chor – das CI hat mein Leben grundlegend verbessert und mir Dinge eröffnet, die mir lange Zeit unmöglich schienen.“

Viele Hürden auf dem Weg zum besseren Hören: Betroffene brauchen schnellen Zugang zu weiterführender Beratung und Diagnostik

Wenn Hörgeräte nicht mehr ausreichen, gestalte sich die Suche nach einer besseren Therapie für die Betroffenen zu schwierig, kritisierte Dr. med. Harald Seidler, Chefarzt der Fachklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde MEDICLIN Bosenberg Kliniken in St. Wendel. „Hochgradig hörbeeinträchtigte Menschen werden zu selten an eine CI-Klinik überwiesen“, so Seidler, der selbst mit Hörgerät und Cochlea-Implantat hört. Außerdem steige die Zahl derer, die hochgradig schwerhörig seien und dennoch kein CI tragen. Um diesen Trend umzukehren, müssen alle an der Versorgung beteiligten Berufe – von niedergelassenen HNO-Ärzt:innen, von Hörakustiker:innen bis hin zu den Ärzt:innen und Therapeut:innen in den Kliniken – Hand in Hand zusammenarbeiten.

Eine Einschätzung, die auch Prof. Dr. Timo Stöver, Direktor der Klinik für HNO-Heilkunde am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, teilt: „Besonders bei schwer hörbeeinträchtigen Menschen ist es wichtig, dass HNO-Ärzte und Kostenträger gemäß der Hilfsmittelrichtlinie die Effektivität einer Hörgeräteversorgung kritisch überprüfen. Die neue Leitlinie zur Cochlea-Implantat-Versorgung bietet klare Orientierung, ab wann ein Cochlea-Implantat in Erwägung gezogen werden sollte[4]. In diesen Fällen müssen die betroffenen Patienten frühzeitig Zugang zu weiterführenden Informationen und Hilfsangeboten erhalten.“ 

Die flächendeckende Etablierung hoher Standards braucht die Unterstützung der Politik 

Viele virtuell teilnehmenden Gäste nutzten die Möglichkeit, den Referent:innen Fragen zu stellen. Mit der Resonanz auf ihren ersten Parlamentarischen Abend zu Cochlea-Implantaten zeigten sich die Organisator:innen nach der Veranstaltung sehr zufrieden. „Wir freuen uns, dass unser Informationsangebot so reges Interesse gefunden hat“, erklärte Dr. Matthias Müller, „Wir hoffen, dass die Veranstaltung dazu beiträgt, die hohen Versorgungsstandards, die wir in Deutschland schon an zahlreichen Zentren haben, flächendeckend zu etablieren.“ Dies voranzutreiben sei nicht nur Aufgabe der beteiligten Berufsgruppen, der CI-Kliniken sowie der Betroffenenverbände: „Hier ist die tatkräftige Unterstützung seitens der politischen Akteure und Kostenträger gefragt“, so Müller.

Quelle: Deutscher Schwerhörigenbund 

[1] Quelle: https://www.schwerhoerigen-netz.de/statistiken/?L=0:

[2] Quelle: PM des DSB, 11.03.2019: „Unbehandelte Schwerhörigkeit verursacht hohe Kosten“

[3] Quelle: https://www.schwerhoerigen-netz.de/fileadmin/user_upload/dsb/Dokumente/Information/Service/Ratgeber/Ratgeber8_Das_Cochlea_Implantat.pdf, Seite 3

[4] Quelle: AWMF-Leitlinie „Cochlea-Implantat Versorgung“ der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. (DGHNO-KHC) https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/017-071.html.

 

 


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