27. September 2023

Erfahrungen beim Reisen mit CI - Selbst ist die Frau! (und der Mann)

Das Titelthema „Mit dem CI auf Reisen“ der Schnecke 120 hat Erinnerungen in unserem Leser Carsten Ruhe geweckt. In seinem Leserbrief teilt er seine Erfahrungen und Tipps für barrierefreies Reisen.

Entsinnen Sie sich noch an Ihre Konfirmation? Meine war 1964. Zwei beliebte Geschenke waren damals die Armbanduhr und der Reisewecker. Zwei Uhren? Ja, wirklich; die Armbanduhr für den Tag und der Reisewecker für die Nacht. Damals standen in den Hotels und Pensionen – und erst recht in der Jugendherberge – nämlich noch keine Radiowecker auf dem Nachttisch. Niemand kam auf die Idee, ihn vom Hotelier oder von den Herbergseltern zu fordern. Man musste also seinen eigenen Wecker dabei haben, wenn man rechtzeitig aufwachen wollte. So ein Reisewecker kostete damals etwa 35,- DM, also so viel wie 35 Schachteln Zigaretten (mehr als eine Monatsration). Heute gibt es in vielen Hotel-Fernsehern eine Weckfunktion, die man über die Fernbedienung aktivieren kann. 

Das nächste Datum, mit dem sich ein passendes Erlebnis verbindet, war im November 2012. Sabine Mittank (damals Geschäftsführerin des DSB-Bundesverbandes) und ich (damals Leiter des DSB-Fachreferates Barrierefrei) hatten uns in einem neu erbauten Berliner Hotel einer skandinavischen Hotelkette angemeldet. Die warben damals damit, dass sie auch für Menschen mit Seh- und mit Hörschädigung ausgestattet seien; Skandinavien war (und ist) in Bezug auf Barrierefreiheit schon deutlich weiter als Deutschland. 

Hotel-Test

An der Rezeption wollten wir uns die IndukTive Schalteranlage vorführen lassen und ausprobieren. Als wir danach fragten, herrschte zunächst einmal Schulterzucken. Der Hotelmanager ließ den maintenance supervisor (Hausmeister) rufen und der wusste tatsächlich Bescheid: er ging ins Backoffice und kam mit einem originalverpackten Karton zurück. Wir haben dann wir alle gemeinsam ausgepackt und die Leute vom Hotel haben gestaunt, was wir über die Funktion dieser Anlage schon wussten, sie aber noch nicht. 

Dann fragten wir nach dem Weckruf im Notfall, zum Beispiel bei Brandalarm. Diesmal stand der Karton an der Rückwand des Rezeptionsbereiches in einem Schrank, also nicht ganz so weit weg. Und hier wusste das Personal zumindest, dass das darin enthaltene Köfferchen des schwedischen Herstellers Bellman, etwa in der Größe eines Schminkkoffers, den schwerhörenden Gästen mit auf das Zimmer gegeben werde mit der Bitte, den darin enthaltenen analogen Wecker (mit Netzanschluss) dort in die grüne Steckdose zu stecken (das ist die Steckdose SV mit einer Sicherheits-Notstrom-Versorgung), die richtige Uhrzeit einzustellen und das Vibrationskissen unter das Kopfkissen zu legen. Sabine Mittank und ich haben getan, als ob wir nicht wüssten wozu das dienen soll, und entsprechend nachgefragt. Uns wurde erklärt, dass der Wecker (jedenfalls das damalige Modell) über ein eingebautes Mikrofon den Piepton eines Rauchwarnmelders aufnimmt, sodass im Alarmfall das Kissen ebenso vibriert wie auch zur eingestellten Weckzeit.

Nachholbedarf

Auf meine Nachfrage, wie oft es denn schon im Hotel gebrannt habe und ob ich vielleicht lieber ein anderes Hotel wählen sollte, wurde mir geantwortet, dass sei zum Glück noch gar nicht der Fall gewesen. Daraufhin habe ich dem Personal gegenüber entschieden, ich würde das Köfferchen zwar artig mit aufs Zimmer nehmen, aber weder auspacken noch anschließen, geschweige denn mich mit der Bedienungsanleitung befassen. Schließlich sei ich für drei unbeschwerte Tage in Berlin und die Zeit auf dem Zimmer sei mir dafür zu schade. 

In angelsächsischen und skandinavischen Ländern weiß das Hotelpersonal, dass es für angemeldete Gäste mit Schwerhörigkeit das Zimmer entsprechend vorzubereiten hat. Auch auf der Aida funktioniert das problemlos (siehe Schnecke 120, Seite 19). Damit kann der Gast sicher sein, dass im Notfall auch alles funktioniert. Und er muss sich nicht selbst mit eventuellen (nur selten vorkommenden) Notfällen befassen. Da muss das deutsche Personal also noch einiges lernen. Schließlich darf im Notfall nichts schief gehen, deshalb darf man die Sorge um die Sicherheit nicht dem Gast selbst überlassen. Den Feuerlöscher gibt man ja auch nicht mit. 

Auf den Notfall vorbereitet

Wenn in Deutschland bisher nur wenige Hotels solche Alarmsysteme vorhalten, sollten sich Schwerhörende im Konfirmandenalter selbst solch ein Köfferchen wünschen, um es bei Bedarf mit auf Reisen zu nehmen. Ältere Schwerhörende müssten es sich selbst kaufen. In ganz neuer und umfassender Ausstattung bietet die Firma Humantechnik so etwas an (siehe Schnecke 120, Seite 27). Wer die Geräte selbst hat, kann sich bereits zu Hause mit der Funktion befassen und alles vorbereiten. Weiterhin ist es nicht „verboten“, die gesamte Gerätschaft auch zu Hause einzusetzen und damit ständig in Übung zu bleiben. So ist man dann völlig unabhängig von Eventualitäten vor Ort. 

Sollten Sie beim Hereinkommen in das Zimmer einen Willkommensgruß auf dem Fernseher vorfinden, so schalten Sie diesen Fernseher nicht aus sondern nur auf Standby. Er ist dann nämlich auch geeignet, im Notfall Verhaltensregeln des Hotelmanagers oder der Feuerwehr anzuzeigen, quasi „Untertitel für den Notfall“. 

Einige Hotels vermerken auch die Einschränkungen ihrer Gäste in der Anmeldung. Solche Hinweise sind für die Feuerwehr sehr wichtig, insbesondere wegen der Rettung von Menschen mit eingeschränkter Mobilität. 

Mein Vorschlag der Kennzeichnung von Zimmern hörgeschädigter Gäste mit einem entsprechenden Hänger am Türdrücker wurde von der Feuerwehr belächelt „Wir gehen sowieso in jedes belegte Zimmer: es könnte ja auch sein, dass dort ein Gast seinen Rausch ausschläft und deshalb den Alarm nicht gehört hat. Und wenn der Flur verraucht sein sollte, dann sehen wir solche Türhänger auch nicht.“ 

Wenn Feuerwehrleute mit Atemschutz im Zimmer auftauchen (und damit fast wie „Marsmenschen“ aussehen), denn werden sie den zu rettenden Personen eine Rauschutzhaube über den Kopf und Oberkörper ziehen. Gästen mit Hörschädigung den Sinn dieser Maßnahme zu erläutern, ist nicht die Zeit. Man muss sich dann „blind“ darauf verlassen, dass einem geholfen wird. In Heimen für Menschen mit kognitiven Einschränkungen wird das bisweilen geübt. 

Selbst ausstatten

Im Zusammenhang mit dem Generalthema „Mit dem CI auf Reisen“ werden in der Schnecke 120 an mehreren Stellen IndukTive Halsringschleifen erwähnt. Einerseits wird beschrieben, dass sie vorhanden seien, an anderen Stellen wird bemängelt, dass keine da waren. Auch hier gibt es eine Möglichkeit, ständig wiederkehrenden Urlaubs-Ärger zu vermeiden. Solche IndukTiven Halsringschleifen kann man nämlich einerseits im Internet bestellen, andererseits aber auch über den eigenen Hörakustiker beziehen. Letzteres hat den Vorteil, dass der einem auch bei eventuellen Anpassungs-Schwierigkeiten helfen kann. Neuerdings gibt es sogar eine Halsringschleife, die Bluetooth-Signale induktiv in die Hörsysteme übertragen kann (siehe Schnecke 120, Seite 53). 

Die günstigsten Halsringschleifen bekommt man heute zum Gegenwert von etwa drei Schachteln Zigaretten, also billiger als mein damaliger Reisewecker. (Ich rauche nicht, deshalb gebe ich mein Geld lieber für sinnvolle Dinge aus, aber als Vergleichsgröße ist das durchaus hilfreich.) Wer ihre eigene induktive Halsringschleife mit auf Reisen nimmt und vielleicht in der Hand- oder Hosentasche dabei hat, die muss sich nicht mehr über fehlende Schleifen am Urlaubsort ärgern. Und schon ist der Urlaub wieder ein ganzes Stück schöner! 

Der deutsche Architekt des skandinavischen Hotels in Berlin hätte sich übrigens in Bezug auf die Raumakustik im Frühstücksraum auch vorab bei seinen skandinavischen Kolleg*innen informieren sollen, aber das ist ein anderes Thema.

Bei einer Besichtigung des Bamberger Doms fiel mir auf, dass dort (mindestens) fünf Besuchergruppen gleichzeitig geführt wurden, aber dennoch war es eine sehr ruhige und angenehme Atmosphäre. Alle Reisegruppen waren mit Funk-Übertragungsanlagen ausgestattet und die Teilnehmer*innen trugen Kopfhörer und in wenigen Fällen Halsringschleifen. Dadurch konnten die Fremdenführer*innen ruhig sprechen und alle Teilnehmenden drehten die Köpfe gleichzeitig immer in die angegebene Richtung, hatten also offenbar jedes Wort verstanden. 

Nach meiner Rückkehr habe ich die Kirchenleitung angeschrieben und um Informationen zu den Funkanlagen und zu deren Verleih gebeten. Dort bekam ich die Antwort, dass bei den Main-Kreuzfahrten die amerikanischen Teilnehmer*innen nur dann buchen, wenn auch eine Übertragungsanlage vorhanden sei. Man hat mir auch den Kontakt zu dem Verleiher dieser Anlagen vermittelt und der berichtete mir, er programmiere die Frequenz-Kanäle immer in Bus-Stärke, sodass alle Personen in einem Bus mit den Empfängern ausgestattet sind. Die in weiteren Bussen haben andere Frequenzen, sodass man nicht in der anderen Gruppe zuhören kann. Ab dem zweiten Reisetag wüssten alle mit den Geräten umzugehen. Abends geben sich die Geräte zum Aufladen über Nacht zurück und erhalten Sie am nächsten Morgen erneut. 

Weil Wahlfreiheit für Kopfhörer oder Halsringschleife besteht, ist diese Vorgehensweise im Sinne des BGG barrierefrei, denn sie erfolgt in der allgemein üblichen Weise und ohne besondere Erschwernis. Schließlich erniedrigt die Wahlfreiheit zwischen Kopfhörer und Halsringschleife auch die Hemmschwelle, die ja auch eine Barriere ist.

Dipl.-Ing. Carsten Ruhe
hörgerecht planen und bauen
Beratender Ingenieur für Akustik


Zurück