23. September 2023
Zwischen den Welten: gehörlos und hörend gleichzeitig
„Wir sind weder gehörlos noch hörend,“ sagen Juliane und Laura Müller. Die beiden 17 und 19 Jahre alten Schwestern wurden taub geboren. Ihr Beispiel zeigt gesellschaftliche Missstände und vor allem ihren beeindruckenden Weg.
Bereits als Kind bekamen Juliane und Larua Müller auf einem Ohr ein CI. Die Frauen bewegen sich zwischen den Welten der gehörlosen und der hörenden Menschen.
Der Alltag entscheidet zugunsten der Implantation
Die Entscheidung für die Implantate ist den Eltern nicht leicht gefallen, berichten die beiden Frauen. Beide sind gehörlos, beide hatten keine Erfahrung mit Cochlea-Implantaten. Letztlich gaben vor allem praktische Gründe den Ausschlag: „Wir leben in einem kleinen Ort. Es gab nur die Regelschule und den Eltern war es wichtig, dass wir gute Bildungschancen und eine gute Berufsausbildung bekommen.“ Bei der Entscheidung, das CI so früh oder so spät wie möglich zu implantieren, half eine Tante. Sie hat ebenfalls einen tauben Sohn, der erst recht spät mit CI versorgt wurde. Mit den Erfahrungen empfahl die Tante den Eltern eine frühzeitige Operation empfohlen. Da sei aber den Kindern die Möglichkeit offen halten wollten, sich später zwischen einem Leben als gehörlose oder als hörende Menschen zu entscheiden, haben sie entschieden, nur ein CI implantieren zu lassen.
Unterstützung durch Familie, aber auch durch Nachbarn
Was folgte war ein langer Weg mit viel Unterstützung der Eltern. Neben den Therapien mussten die Schwestern zur Logopädie und auch die Technik habe sie vor Hürden gestellt. Viel Unterstützung hätten die Mädchen durch ihre hörende Großmutter bekommen. Um sich ans Hören zu gewöhnen sei häufig der Fernseher im Hintergrund gelaufen. Die Nachbarn seien offen und interessiert gewesen, eine Frau habe sogar regelmäßig mit den Mädchen gespielt. Für Juliane und Laura Müller war das eine wichtige Erfahrung. Sie betonen heute, wie wichtig es ist sich zu trauen und zu öffnen, sei es im Umgang mit den Nachbarn oder in der Krabbelgruppe im Kindergarten.
„Durch das CI wurde uns ermöglicht, uns in die Gesellschaft zu integrieren.“
Wegen der positiven Erfahrungen ist für Juliane und Laura Müller das Leben ohne CI undenkbar. Hören zu können, sei eine große Erleichterung im Alltag. Die Schwester sind aber davon überzeugt, dass das nicht nur an den zusätzlichen Wahrnehmungen liegt. Vielmehr sei auch die Benachteiligung gehörloser Menschen ein wichtiger Punkt.
Der größte Teil der Gesellschaft nähme die Gehörlosen nicht so auf, wie sie seien. Negative Erfahrungen hat Juliane im Krankenhaus gemacht. Wegen einer Operation habe sie das CI nicht tragen können: „Ich habe die Pflege mehrfach darauf hingewiesen, dass ich nicht hören kann. Es wurde nicht wahrgenommen und einfach mit mir gesprochen, anstatt andere Kommunikationswege zu wählen.“ Wegen des CI würde von ihr erwartet, genauso gut zu hören wir ein Normalhörender, verlangt würde auch die gleiche Leistung. "Doch das ist eben nicht der Fall.“ Mehr Akzeptanz und Toleranz der Gesellschaft ist deshalb der große Wunsch der Schwestern.
Die Identitätsfrage
Doch der Wunsch geht auch an die Gemeinschaft der Gehörlosen. Auch dort seien sie für ihre CI und die Art der Kommunikation kritisiert worden.Deshalb seien die Schwestern in eine Identitätskrise gefallen, weil sie das Gefühl hatten von beiden Gruppen nicht richtig angenommen worden zu sein. Inzwischen stellt sich die Frage nicht mehr für Juliane und Laura Müller. Sie sehen sich weder als hörend, noch als taub. Sie sehen sich einfach nur als CI-Trägerinnen.
Das Thema "Identität" ist Schwerpunkt der Schnecke #121.
Zurück