23. Mai 2020

Schlechte Akustik, verdecktes Mundbild: „Bitte nehmen Sie die Maske ab“

DCIG-Präsident Roland Zeh spricht im Interview über Herausforderungen für Hörgeschädigte in Corona-Zeiten, erfolgreiche Videokonferenzen und Hygieneregeln, die die Arbeit der Selbsthilfe erschweren.

Dr. Roland Zeh schaut freundlich in die Kamera. 
Dr. Roland Zeh, seit 2014 Präsident des Selbsthilfeverbandes Deutsche Cochlea Implantat Gesellschaft e.V. (DCIG)

 

Die Maskenpflicht ist für viele Hörgeschädigte eine Herausforderung. Wie ist es Ihnen in den vergangenen Wochen damit ergangen?

Roland Zeh: Die Mund-Nasen-Schutzmasken erschweren uns Hörgeschädigten, egal ob CI- oder Hörgeräteträgern, in vielerlei Hinsicht das Verstehen. Im Alltag sind sehr viele Störgeräusche vorhanden, so dass das rein akustische Verstehen für viele Hörgeschädigte sehr schwierig ist. Das unterstützende Mundbild ist daher fast immer notwendig. Auch die Mimik spielt eine erhebliche Rolle beim Verstehen. Beides wird durch die meisten Masken verdeckt. Zusätzlich leidet die Akustik durch den Mund-Nasen-Schutz. Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem die hohen Frequenzen um ca. 5 dB gedämpft werden. Im Alltag habe ich, obwohl ich mit meinen CIs relativ gut höre, fast immer ein großes Problem, wenn ich mit Menschen sprechen muss, die einen Mund-Nasen-Schutz tragen. In aller Regel muss ich die Menschen darum bitten, die Maske abzunehmen.

Und stoßen Sie dabei auf Verständnis?

Die meisten sind bereit dazu, aber es gibt auch Ausnahmen. Mir ist es schon passiert, dass mein Gegenüber ziemlich aggressiv wurde. Ich war in einem Fahrradladen, weil ich eine Beratung benötigte. Aber ich verstand den Verkäufer nicht. Irgendwie hörte ich das Wort „Vorschrift“ heraus. Ich vermute, der Verkäufer hat sich nicht getraut, seine Maske abzunehmen, weil er seine Vorschriften hatte. Ich bin dann gegangen. Eine ähnliche Situation hatte ich in der Bahn, hier nahm der Schaffner die Maske erst nach einigem Hin und Her ab.

Die Menschen haben Sorge, gegen die Maskenpflicht zu verstoßen, wenn sie diese zugunsten der Kommunikation mit Hörgeschädigten abnehmen. Deshalb brauchen wir hier dringend bundesweit Straffreiheit, damit niemand ein Bußgeld fürchten muss. In mehreren Bundesländern ist dies bereits der Fall, aber die wenigsten wissen davon. Hier brauchen wir auch von Seiten der Politik den klaren Appell: Bitte nehmen Sie die Maske ab, wenn Sie mit Hörgeschädigten sprechen.

Veranstaltungen wie die Fachtagung der DCIG mussten abgesagt werden, andere werden virtuell durchgeführt. Sie selbst hatten vor Kurzem Ihre erste Videokonferenz. Wie haben Sie diese Art des Treffens als Hörgeschädigter erlebt?

Ich war positiv überrascht. Ich hatte schon vor der Corona-Zeit öfters Einladungen zu Videokonferenzen erhalten. Diese hatte ich jedoch stets abgelehnt, weil ich dachte, dass ich das akustisch und kommunikativ nicht schaffe. Mit dem Lockdown mussten wir alle unsere Gremientermine absagen. Um uns dennoch in Präsidium und Vorstand auszutauschen, war die Videokonferenz letztlich die einzig realisierbare Alternative – und es ging erstaunlich gut.

Ich habe mich direkt angekoppelt über Funktechnik, so dass die Tonübertragung direkt in mein CI gestreamt wurde und es keine Nebengeräusche gab. Und man kann das Mundbild vom jeweiligen Sprecher relativ gut und von vorne sehen. Wichtig sind eine stabile Internetverbindung und gute Lichtverhältnisse. Letztendlich bin ich zu der überraschenden Erkenntnis gelangt, dass so eine Videokonferenz akustisch und kommunikativ sogar einfacher für mich ist als eine Live-Konferenz mit 15 oder mehr Leuten. Denn in größeren Runden ist das Mundbild aufgrund der Entfernung oft schlechter zu sehen als auf dem Monitor. Ich denke, wir werden uns nun öfter über Videokonferenzen austauschen. Persönliche Treffen werden diese aber nicht komplett ersetzen können. 

Großveranstaltungen sind vorerst bis Ende August verboten. Wie wird es mit der Selbsthilfe für Hörgeschädigte nun weitergehen?

Das ist ein großes Fragezeichen. Aktuell findet die Selbsthilfe vor allem über digitale Kanäle statt, aber es ist etwas anderes, ob ich mit jemandem in einer Videokonferenz rede oder man gemeinsam Zeit an einem Ort verbringt. Seine Peergroup zu erleben und positive Erfahrungen dabei zu sammeln, ist insbesondere für jene wichtig, die im Alltag mit ihrer Hörschädigung allein sind. Ich persönlich glaube, dass man Präsenzveranstaltungen im kleineren Rahmen bald wieder durchführen kann. Sollte dabei jedoch Maskenpflicht bestehen, macht das aus meiner Sicht aber wenig Sinn für Hörgeschädigte. Veranstaltungen der Selbsthilfe leben davon, neben dem Austausch von Informationen auch Emotionen zu teilen – und das wird mit diesen Hygieneregeln deutlich erschwert.

Diese Regelungen sind auch einer der Hauptgründe gewesen, unsere Fachtagung im Juni abzusagen. Ich hatte lange gehofft, dass bis dahin Veranstaltungen mit bis zu 300 Teilnehmern wieder zugelassen werden. Irgendwann wurde mir jedoch klar, dass wir die Fachtagung, wenn überhaupt, dann nur mit Masken und strengen Abstandsregeln durchführen dürfen. Und dann macht die ganze Fachtagung keinen Spaß mehr. Deshalb war es richtig sie abzusagen. Wann wir wieder so unbefangen miteinander umgehen können, wie wir das alle wollen, weiß ich nicht. Das macht mir Sorgen. 

Vielerorts war in den vergangenen Wochen auch die CI-Versorgung und -Nachsorge eingeschränkt. Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf Hörgeschädigte ein?

Der Operations-Stop ist inzwischen größtenteils aufgehoben. Die Nachsorge läuft wieder an, aber die strengen Auflagen führen nach wie vor zu Einschränkungen. So sind zum Beispiel die stationären Reha-Plätze derzeit reduziert. Hinzu kommt, dass das Hörtraining mit Abstandsregeln und Mund-Nasen-Schutz gerade für CI-Träger, die noch nicht so gut hören, schwierig durchzuführen ist. Auch Plexiglasscheiben, durchsichtige Masken oder Gesichtsvisiere lösen das Problem nur zum Teil. Denn dadurch ist das Gesprochene nicht nur leiser, sondern wird zudem verzerrt, da die verschiedenen Frequenzen der Sprache unterschiedlich gedämpft werden. Gerade die für das Verstehen wichtigen Konsonanten und Zischlaute werden dann schlechter gehört und auch das Unterscheiden der Konsonanten, ein ganz wesentlicher Teil des CI-Hörtrainings, wird dann sehr schwierig.

Dazu kommen dann noch die Abstandsregeln. Normalerweise wird mit etwa einem Meter Abstand trainiert, das ist der normale Sprecherabstand im Alltag. Mit den Hygieneregeln lassen sich aber solche Alltagssituationen aktuell kaum üben. Man kann das dann „Hörtraining unter erschwerten Bedingungen“ nennen, was wir mit den fortgeschrittenen Patienten ja auch machen, aber viele Patienten sind dann überfordert und kommen gar nicht richtig ins Sprachverstehen rein. Ich denke, wir werden in der Reha daher mehr Zeit und Therapieeinheiten brauchen, um diese ungünstigen Bedingungen auszugleichen. (ms)

Mehr zum Thema: 

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