19. März 2021
Talk rund ums Hören: Lautstark – kontaktlos und berührend!
Einmal im Monat laden wir Gäste und Zuschauer zu einem besonderen Thema rund ums Hören ein. Ein Rückblick auf 2020.
Die Pandemie erreichte uns in der Hauptzeit für Präsenzveranstaltungen. März 2020. Lockdown! Schluss mit Treffen, die Teilnehmer der bevorstehenden Blogwerkstatt in St. Jakob packten ihre Skiklamotten wieder aus, alle Veranstaltungen der Deutschen Cochlea Implantat GEsellschaft (DCIG) wurden nach und nach abgesagt. Das war der Nährboden, auf dem die Idee zu einem neuen Format wuchs, das später „Lautstark“ heißen sollte: Einem Talk rund um das Thema Hören. Einem Format zum Anfassen und Mitmischen. Berührend und dennoch – ganz Corona-konform – kontaktlos.
Seither sind zehn Folgen über den Äther gegangen – natürlich so, wie man es heute macht: per Videokonferenz. (Fast) alle 14 Tage gab es eine Stunde lang Gespräche zu verschiedenen Themen, die alle irgendwie mit dem Hören zu tun hatten:
Persönliches
Ein junges Paar, kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes im Sommer. Der Vater schwerhörig, mit CI versorgt, die Mutter guthörend. Ich wollte wissen, ob es Ängste oder Sorgen gab im Hinblick auf eine möglich (Hör-)Behinderung des Kindes. Die jungen Eltern beeindruckten mich durch ihre Gelassenheit: Sie würden die Dinge so nehmen, wie sie kommen würden. Die Liebe zu ihrem Kind war bereits jetzt unerschütterlich.
Im Herbst dann durften wir Zeugen eines Gesprächs werden, dass eine hörgeschädigte Mutter mit ihrer normalhörenden Tochter führte. Die Offenheit, mit der beide über die Kindheit und Jugend der Tochter sprachen und die die Schwierigkeiten, aber auch die Gewinne aus dieser Situation deutlich machte, blieb mir in Erinnerung.
Wissenschaft
Professor Timo Stöver klärte uns über die Bestrebungen auf, sich auf Standards zur Qualitätssicherung in der CI-Versorgung zu einigen. Ich habe verstanden, dass uns solche Standards eine Vergleichbarkeit garantieren zwischen verschiedenen CI-Zentren und -Kliniken. Und deshalb auch gut für die Patienten sind.
Professor Martin Fischer berichtete von der Disziplin der Medizindidaktik – also darüber, wie und was Ärzte am besten lernen, um gute Ärzte zu sein. Ein Kernthema ist neben Fachwissen und Berufserfahrung die Kommunikation mit Patienten, das derzeit mit Schauspiel-Patienten trainiert wird. Eventuell ein Ansatzpunkt für die Selbsthilfe?
Professor Ulrich Hoppe habe ich gefragt, was ein Audiologe ist. Antwort: ein Brückenbauer zwischen Technik und Patient/in. Er kodiert das Schallereignis, das über das CI oder Hörgerät ans Gehirn geleitet wird und dort zur Hörwahrnehmung wird. Der/die PatientIn muss dann entscheiden, ob es passt, was dabei rauskommt.
Kultur
Sebastian Fehr ist Musiker und Blogger. Er spielt Trompete und alles, was sich im weitesten Sinne dazu zählen lässt. Er ist einer von den vielen CI-Trägern, die sich trotz einer Hörbeeinträchtigung nicht von seinem Weg abbringen ließ – dem aktiven Musizieren. Gerade ist seine aktuelle CD erschienen.
Auch René Vergé ist Musiker – und Tonmeister. Wie Sebastian Fehr hatte er viele Rückschläge wegen seines Hörens und stand dennoch unmittelbar nach seiner ersten CI-Reha bei einem Techno-Konzert am Mischpult. Und auch das Schlagzeug steht nicht verwaist im Keller.
Dass Bach wie kaum ein anderer die Musik beeinflusst hat, darüber ist sich die Welt einig. Wie aber kann Bachs Musik auch Menschen bewegen, die nicht oder nur schlecht hören? Indem Gebärden und Gesten, Mimik und Klang zu einem Gesamteindruck verschmelzen. Das Ensemble SING and SIGN, gegründet von der Sängerin Susanne Haupt setzt das professionell um – ihre Begeisterung steckte uns an.
Wissenschaft trifft Betroffene
Bin ich hörbehindert genug? Diese Frage stellt sich Anja Bernoth, einseitig ertaubt, immer wieder. Zumal sie wenig Verständnis bekommt für ihre Beeinträchtigung. Der HNO-Facharzt Roland Jakob konnte das gut nachvollziehen und hat den vielen Teilnehmern deutlich machen können, dass sie sich ihre Einschränkungen nicht etwa einbilden. Spontan wurde eine Whatsapp-Gruppe (siehe Schnecke Ausgabe 110) gegründet.
Schule
Vorbilder, Trotz und Traurigkeit – das bleibt unterm Strich nach vielen Jahren Schulbesuch als hörgeschädigte Schülerin. Der Generationenvergleich zwischen Anna Gängler, 24, und Christl Munz, 66, zeigte, dass vor allem die fortgeschrittene Technik den Unterschied macht. Doch nach wie vor müssen sich hörgeschädigte Kinder Schulbildung mit hohem persönlichem Einsatz erkämpfen.
Wenn dieser Bericht erscheint, liegen noch weitere Beiträge hinter uns: Darüber, was Frühförderung ist, kann, soll – mit der großen Dame der Frühförderung Gisela Batliner (siehe Schnecke Ausgabe 110). Über das Museum des Frankfurter Gehörlosenzentrums mit der Leiterin Ulrike Schneider. Und mit einem Weihnachtstalk mit Kerzen, Keksen, Musik und Geschichten zu Weihnachten und Hörschädigung.
Und dann geht ein besonderes Jahr zu Ende. Abgesehen davon, dass uns Corona stark einschränkt und beängstigt – diese Reihe mit kontaktlosen Begegnungen war ein Gewinn. Ich habe viele Menschen getroffen, aus Bereichen, mit denen ich früher nie etwas zu tun hatte. Ich habe viel gelernt, und ich hoffe, andere auch. Aber was mich am meisten beeindruckt hat, ist, mit wieviel Energie und Willen die Menschen, denen ich begegnet bin, an ihrem Weg festgehalten und sich von ihren Beeinträchtigungen nicht unterkriegen lassen. Ich bleibe weiter neugierig! Und das ist doch schon fast ein Wort zum Jahreswechsel …
Barbara Gängler
Good news: Auch im nächsten Jahr wird es wieder Lautstark-Folgen geben – immer am 3. Freitag eines Monats. Start ist der 15. Januar 2021. Wir freuen uns auf Euch!
Zurückliegende Folgen können hier (Link) nachträglich angeschaut werden.
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