24. Oktober 2023

Euha 2023 - Hörakustik im Wandel

Freiverkäufliche Hörgeräte, künftige Hörassistenzsysteme und künstliche Intelligenz in Hörgeräten waren drei von vielen weiteren Themen auf dem 67. Internationalen Hörakustiker-Kongress (Euha) in Nürnberg, bei dem sich Branchenkenner aus aller Welt trafen.

Eröffnung Euha / Foto: Ruranski

Eröffnung der Euha / Foto: Ruranski

Vom 18. bis zum 20. Oktober konnten sich die Besucherinnen und Besucher in der Messe Nürnberg beim Euha, dem weltweit größten Branchentreffen der Hörakustik und Hörsysteme-Industrie im wahrsten Sinne des Wortes auf den neuesten Stand bringen. Rund 130 Aussteller aus 17 Ländern präsentierten ihre Produktneuheiten. Torben Lind ø vom Bundesverband der Deutschen Hörgeräteindustrie, kurz BVHI, und Geschäftsführer von Oticon Deutschland dazu: „Das ist Diversity.“ Etwa 7.500 Teilnehmende aus der ganzen Welt wurden erwartet. Der Kongress bot zahlreiche Möglichkeiten, sich über modernes Hören zu informieren. Dazu gab es neben den Messeständen auf der Industrieausstellung auch 24 Vorträge, fünf Tutorials, einen Round Table sowie ein Wissenssymposium.

Partnerland Schweiz

Die Schweiz war in diesem Jahr erstmals Partnerland beim Euha-Kongress. René Bürgin, Präsident des Schwei zerischen Fachverbands der Hörgeräteakustik Akustika, betonte bereits im Vorfeld die Relevanz des fachlichen Austausches: „Internationale Aufgaben verlangen nach internationaler Kooperation.“ Bei der Eröffnung am Mittwochmorgen sagte er: „Ich bin gespannt, was ich lernen darf.“ 

Hohe Kundenzufriedenheit

Auch Journalistinnen und Journalisten durften bei einem Presserundgang durch die beiden Messehallen dazulernen. Bei Phonak konnten sie sich über die aktuelle Plattform „Lumity“ informieren, die in einer breit angelegten Studie des Deutschen Instituts für Service-Qualität, in diesem Jahr den ersten Platz machte.

Die Studie würdigte Phonak im Gesamt-Ranking als die Hörgeräte-Marke 2023 mit der höchsten Kundenzufriedenheit in Deutschland. Steffen Kohl, Leitung Marketing und Audiologie bei Phonak, sagte: „Die Plattform ermöglicht ein besseres Sprachverständnis, weniger Höranstrengung und ein präzises Richtungshören.“ 

Designte Otoplastiken: Unikat im Ohr

Am Messestand von Audia Akustik konnten die Besucherinnen und Besucher die Vorteile von individuell gefertigtem Gehörschutz kennenlernen, wie zum Beispiel eine optimale Anbindung des Hörsystems ans Ohr.

Lars Kraft, Geschäftsführer der Audia Akustik GmbH, erklärte dem Publikum zudem, was es mit dem Motto „Ohr Couture“ auf sich hat: „Otoplastiken können sich heute an die jeweilige Garderobe anpassen. Die Menschen werden mutiger, die Otoplastiken bunter und peppiger, es gibt welche mit Fußball oder Sternchen.“ Euha-Vizepräsidentin Eva Keil-Becker dazu: „Vom Stigma zum Statement, eine großartige Entwicklung.“ 

Technische Entwicklungen, zum Beispiel 3D-Scan und neue Diagnoseverfahren

Um die passgenaue Fertigung von Otoplastiken ging es am Messestand von Natus. Für einen möglichst passgenauen Sitz der Otoplastiken werden moderne Technologien wie ein digitaler 3D-Scan genutzt. Auch Oticon präsentierte technische Neuentwicklungen wie die „Oticon Companion“-App. Damit lassen sich individuelle Anpassungen des Hörsystems an die Umgebung jederzeit einfach und diskret über das Smartphone vornehmen. 

Zudem stellte das Unternehmen das Hördiagnoseverfahren „ACT“ (Audible Contrast Threshold) vor. Mit diesem könne man laut Oticon auch versteckten Hörverlust identifizieren. Starkey präsentierte die neue Plattform „Genesis AI“. Das Gerätedesign wurde komplett überarbeitet und auch ein neuentwickelter Prozessor steckt in den Geräten. „Der neue Prozessor bildet quasi praktisch die äußeren und inneren Haarzellen nach“, sagte Florian Heyn, Manager Marketing und Produktmanagement bei Starkey. 

Euha Förderpreise verliehen

Euha-Förderpreise verliehen / Foto: Ruranski

Euha-Förderpreise verliehen / Foto: Ruranski

Im Anschluss fand die Euha-Förderpreisverleihung statt, bei der Bachelor- und Masterarbeiten prämiert werden. Der dritte Platz ging an Marc Tielesch. Er erhielt den Preis für seine Abschlussarbeit zum Thema „Präskriptive Hörsystemanpassung auf Basis von NAL-NL2 im Vergleich mit einem Freifeld-Anpassverfahren auf Basis eines MCL-basierenden Lautheitsabgleichs“.

Platz Zwei ging an Sophie Jäker. Sie schrieb zum Thema „Evaluation von Messverfahren für Sprachverständlichkeit und Höranstrengung in akustisch komplexen Szenen“.

Sonja Tänzer belegte mit ihrer Abschlussarbeit zum Thema „Effektivität einer Hörgeräteversorgung für Patientinnen und Patienten mit nahezu normalem Tonaudiogramm zur Verminderung von Tinnitus“ den ersten Platz.

Prof. Dr. Karin Schorn, Vorsitzende der Forschungsgemeinschaft Deutscher Hörgeräte-Akustiker (FDHA), verlieh den FDHA-Stiftungspreis. Dieser ging an Marianne Frickel, der ehemaligen Präsidentin der Bundesinnung der Hörakustiker (Biha). Marianne Frickel bedankte sich und gab das Lob gleich weiter: „Dies ist eine große Anerkennung für unser aller Engagement, für ein tolles Team und großartige Unterstützer.“ 

Hörgeräte aus dem Internet statt Fachgeschäft?

Den Auftakt des Euha-Wissenssymposiums bildete ein Vortrag von Christoph Schwob, beratendes Mitglied der schweizerischen audiologischen Kommission und Mitglied der Fachgruppe Pädakustik des Bundesamtes für Sozialversicherung der Schweiz. Er referierte zum Thema „Fachgeschäfte wird es immer brauchen – oder gibt es Hörgeräte bald nur noch online?“. Sein Fazit: „Es gibt zwar immer weniger gut ausgebildetes Personal und zunehmend Hörgeräteangebote im Internet, die Qualität ohne Besuch im Fachgeschäft versprechen. Doch Fachgeschäfte wird es trotzdem noch lange brauchen.“ 

Euha: Vorträge zur Zukunft der Branche

Im Anschluss referierte Dr. Florian Denk vom Deutschen Hörgeräte Institut zum Thema „Geschlossene, okklusionsfreie Otoplastiken? Historie, Erkenntnisse und neue Untersuchungen“. Es folgten zahlreiche Vorträge von Expertinnen und Experten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Dänemark, Belgien und den USA. Die Vorträge behandelten Themen wie künstliche Intelligenz, den Verkauf von OTC-Hörgeräten („Over-the-Counter“, freiverkäufliche Hörgeräte ohne ärztliche Verordnung oder Anpassung durch einen Hörakustiker) in den USA

Bedeutung von Auracast-Systemen

Ein weiterer Vortrag beschäftige sich mit der Bedeutung von Hörassistenz-Systemen mit Auracast-Funktion. Der neue Bluetooth-Standard ermöglicht es, ein Gerät wie beispielsweise einen Fernseher oder eine Mikrofonanlage innerhalb des Senderadius mit unbegrenzt vielen Empfängern wie Hörsystemen und Kopfhörer gleichzeitig zu verbinden, bislang war nur eine Verbindung zwischen zwei Geräten möglich. 

Internationaler Roundtable: Hörakustik im Wandel

Internationaler Roundtable / Foto: Ruranski

Internationaler Roundtable / Foto: Ruranski

Der Internethandel mit Hörgeräten war auch beim Rundtischgespräch am Donnerstag Thema. Unter dem Motto „Hörakustik im Wandel: Die europäische Perspektive zur Zukunft des besseren Hörens und Verstehens“ diskutierten Expertinnen und Experten aus der Schweiz, Belgien und Deutschland über die aktuelle politische Situation in der Hörgerätebranche, das Ausbildungssystem im jeweiligen Land und den Online-Handel mit Hörsystemen.

Biha-Präsident Eberhard Schmidt sagte: „Hörgeräte sind ein Produkt der Gefahrenklasse 2a. Wir reden von einem medizinischen Produkt, das man nicht online kaufen sollte. Dafür braucht man eine Beratung und es gibt Verträge zwischen Krankenkassen und Akustikern, aber es gibt keine Online-Verträge.“ Euha-Präsidentin Beate Gromke dazu: „Hörgeräte gibt es bei den Krankenkassen zum Nulltarif, also warum sollte man ein Hörgerät online kaufen? Da kann ich kein Schnäppchen machen.“ René Bürgin sagte: „Ein Hörgerät online zu kaufen, das ist super, denn die Hörgeräte heutzutage sind alle gut. Doch wie stellt man das Hörgerät ein? Wer begrenzt die Lautstärke? Das geht nur durch Fachpersonal. Ich sehe die Zukunft der Branche rosig.“

Potenzial und Gefahr von KI

Beim Thema KI gingen die Meinungen auseinander. Beate Gromke sieht eine Gefahr: „Das Iphone scannt das Ohr, da benötigt man keinen Akustiker mehr, der das macht. Die KI kann uns auch ins Handwerk pfuschen, beispielsweise beim Modeling.“ René Bürgin sieht in der KI im Hörgerät dagegen ein Riesenpotenzial und Eberhard Schmidt nutzt bereits seit Jahren KI-Technik: „Die Prozessoren werden immer besser, also werden auch die Algorithmen immer besser. Die KI ist sehr lernfähig und wird sich immer weiter positiv entwickeln.“ Eines wurde beim 67. Internationalen Hörakustiker-Kongress auf jeden Fall klar: Die Hörakustik ist in vielen Bereichen im Wandel. (nr)

 


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