19. Januar 2024

Endlich (wieder) hören: Das Cochlea-Implantat macht es möglich – seit 40 Jahren 

Vor 40 Jahren begann der Siegeszug des Cochlea-Implantats in Deutschland. 1984 versorgte Professor Ernst Lehnhardt an der Medzinischen Hochschule Hannover die ersten vier Patienten mit der damals noch neuartigen Innenohrprothese und ermöglichte ihnen nach Jahren der Taubheit wieder hören zu lernen. Zum Auftakt des Jubiläumsjahres lud die Firma Cochlear nach Hannover ins firmeneigene "Experience Center". Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil nahm an der Veranstaltung teil. 

Foto: Cochlear Ltd.
Ministerpräsident Weil zu Besuch bei Cochlear / Foto: Cochlear Ltd

Die bahnbrechende Therapie, die es ertaubten Menschen und taub geborenenen Kindern ermöglicht, mittels einer Hörprothese (wieder) zu hören und Lautsprache zu verstehen, gilt in erfahrenen Kliniken mittlerweile als Routine-Eingriff. Das Resultat aber ist für die Betroffenen nach wie vor hoch emotional und lebensverändernd.

Davon berichtete unter anderem Sylwia Swinton, selbst seit neun Jahren CI-Trägerin und seit sieben Jahren Mitarbeiterin von Cochlear: "Das Cochlea-Implantat ermöglicht einem ganz neue Möglichkeiten. Davor kam ich mir immer so vor, als würde ich unter einer Glasglocke sitzen." 13 Jahre habe sie nicht telefonieren können, erst seit der Cochlea-Implantat-Versorgung sei dies wieder möglich, berichtete die junge Frau. Für nahezu jeden gebe es mittlerweile eine Hörlösung.

Versorgungsrate ist gering – trotz Kassenleistung

60.000 Menschen sind mittlerweile mit einem oder zwei Cochlea-Implantaten versorgt, von der Hörprothese profitieren könnten aber deutlich mehr in Deutschland. Professor Thomas Lenarz von der Medizinischen Hochschule Hannover geht von einer Million Menschen in Deutschland aus, die auf einem oder beiden Ohren hochgradig schwerhörig oder taub sind. Insgesamt liegt die Versorgungsrate damit bei nur fünf bis sieben Prozent, obwohl die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat als Kassenleistung von der Krankenkasse vollständig bezahlt wird. 

"Viele können heute schon nach der Erstanpassung telefonieren"

Doch warum ist das so, wenn sich die Therapie doch seit 40 Jahren bewährt hat? Lenarz sieht mehrere Gründe: die Angst vor der Operation, die Sorge vor dem Verlust des Restgehörs, selbst wenn es nicht mehr dem Sprachverstehen dient. Zudem führten Fehlinformationen wie das Gerücht, dass es viele Jahre brauche, bis das Verstehen mit einem Cochlea-Implantat klappe, zum Zögern. Dabei könnten heutzutage viele nach der Erstanpassung schon telefonieren, sagte Lenarz.

Darüber hinaus fehle es an "Awareness", wie wichtig gutes Hören für die Gesundheit ist. So erhöht unversorgte Schwerhörigkeit das Risiko an Demenz zu erkranken. Und zu guter Letzt wissen viele schlichtweg nicht, dass es eine solche Innenohrprothese gibt, die das Hören wieder oder besser ermöglicht, wenn Power-Hörgeräte nicht mehr ausreichen. 

"Ein Sprachverstehen wie noch nie zuvor in meinem Leben"

Hellmuth Scheems hatte Glück. Sein HNO-Arzt gab ihm damals den Hinweis auf das Cochlea-Implantat. Schon immer schwerhörig, verhalf er sich zuvor lange Zeit mit Hörgeräten über die Runde, bis diese an ihre Grenzen kamen. 2009 erhielt Scheems sein erstes Implantat, 2021 das zweite. Sein Fazit: "Mit dem Zweiten hört man besser. Ich habe jetzt ein Sprachverstehen wie noch nie zuvor in meinem Leben."

Cochlea-Implantate sind in jedem Alter möglich

Foto: privat
Alexander Bley war vor 32 Jahren weltweit der jüngste CI-Träger / Foto: privat

Wurden anfangs nur vollständig ertaubte Erwachsene implantiert, folgten ab 1988 auch Kinder, inzwischen werden taub geborene Kinder bereits im Säuglingsalter implantiert, um die Differnez zwischen Hör- und Lebensalter möglichst gering zu halten. Warum das wichtig ist, veranschaulichte Elektroingenieur und Profi-Sportler Alexander Bley, der vor 32 Jahren im Alter von 13 Monaten mit einem Cochlea-Implantat versorgt wurde – als damals jüngster CI-Träger weltweit. Dass er nie natürlich gehört hat, ist der Aussprache des heute 33-Jährigen nicht anzumerken. Seinen Eltern ist er für diese mutige Entscheidung dankbar. "Ich freue mich jeden Tag hörend durchs Leben zu gehen", sagte Bley, der auch die Gebärdensprache beherrscht. Falle aber mal durch den vielen Sport ein CI-Prozessor aus, merke er, wie abgeschnitten er ohne seine Cochlea-Implantate von der hörenden Gesellschaft sei, "weil die anderen keine Gebärdensprache können“, berichtete Bley. 

"Niedersachsen hören besser"

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil zeigte sich beeindruckt von den Erfahrungsberichten, den technischen Fortschritt und den fachlichen Einblicken in die CI-Versorgung. Der SPD-Politiker hat in seinem Bekanntenkreis selbst CI-Träger, die mittels der Hörprothese sehr gut verstehen könnten, berichtete er am Rande der Veranstaltung. Dennoch habe er heute viel dazulernen können, so Weil. "Das Cochlea-Implantat ist wirklich eindrucksvoll. Ich kann mir nur ungefähr ausmalen, was das für ein Segen für die Menschen ist."

Foto: Cochlear Ltd.
Ministerpräsident Stephan Weil informiert sich über das Cochlea-Implantat / Foto: Cochlear Ltd.

Als Ministerpräsident zeigte er sich zudem stolz auf die „Hörregion Hannover“, in der sich unter anderem Cochlear engagiert, und sicherte zu, für Ideen zur Verfügung zu stehen, die schwerhörige Menschen zu einer optimalen Hörversorgung verhelfen, etwa landesweite Hörtests für Erwachsene, in Anlehnung an die Neugeborenen-Hörscreenings, die seit der Einführung 2009 zu einer frühzeitigen und besseren Hörversorgung bei Babys beigetragen haben. Weil hat auch schon einen Arbeitstitel dafür: „Niedersachsen hören besser“. (ms) 

 


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