30.03.2015

Mit den Lieblingssongs gegen den Tonterror im Ohr

Am 15. März 2015 geschah das, womit die Gründer des Hamburger Startups Sonormed in ihren kühnsten Träumen nicht gerechnet hätten: Sie gewannen mit ihrer Filtersoftware gegen Tinnitus beim wichtigsten Gründerwettbewerb der Welt in der Kategorie Medizin: dem South by Southwest (SXSW) in der texanischen Stadt Austin.

Die drei "Hamburger Jung" wollten eigentlich gar nicht mitmachen (Foto rechts, v.l.: Matthias Lanz, Jörg Land, Adrian Nötzel). Mit dem für die Hansestadt typischen Understatement rechneten sich die Gründer des Medizintechnologieunternehmens Sonormed keine ernsthaften Chancen aus, bei dieser besonderen Preisverleihung auf dem Treppchen zu stehen. Der Aufwand schien zu groß wie die exzellente Konkurrenz auf dem Musik-, Medien- und Technologiefestival SXSW in der Kategorie "Digital Health and Life Science". Andererseits gelang genau bei diesem Gründerfestival Unternehmen wie Twitter oder Foursquare seinerzeit der Durchbruch. "Versucht es wenigstens", lautete daher der Ratschlag ihrer Unterstützer. Zu Recht, wie sich zeigen sollte. Also gingen die Entwickler der Musik-Filtersoftware Tinnitracks Matthias Lanz, Jörg Land und Adrian Nötzel nochmals in sich, meldeten sich doch beim Start-Up-Festival an und wurden als einziges Unternehmen aus Deutschland nominiert. Entsprechend groß ist der Medienhype in diesen Wochen um die Gründer aus der Hansestadt.

Medienhype um die Hamburger Gründer

Das Telefon stünde nicht mehr still, der Mail-Flut sei kaum mehr beizukommen, sagt Geschäftsführer Jörg Land. "Ich habe unsere IT darum gebeten, keine Mails mehr zu beantworten. Der Rummel ist klasse, aber wir kommen seit einer Woche kaum mehr zum Arbeiten", erzählt er über die Skype-Schalte in so hohem Tempo, als wollte er sich beim Sprechen selbst überholen. Termine, Termine. Sogar das Online-Magazin des SPIEGEL war der SXSW-Triumph der Hamburger Mitte März eine Story wert. Vom Rummel auf der diesjährigen CEBIT in Hannover ganz zu schweigen, wo hoher Besuch aus der Politik anerkennend einen Stopp einlegte: Wirtschaftsminister Gabriel und die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries schauten vorbei.

Filtersoftware, die auf Tinnitus-Ursache abzielt
Aber was hat es mit Tinnitracks des Hamburger Startups eigentlich auf sich, das seit diesem Jahr Mitglied im Bundesverband Internetmedizin ist? Wie sich aus dem Produktnamen schließen lässt, geht es um Tinnitus. Genauer um einen neuartigen Therapieansatz, der das quälende Geräusch eines chronischen tonalen subjektiven Tinnitus lindern kann, zumindest um etwa 25 Prozent. Anders als bei der Behandlung der Symptome mit psychotherapeutischen oder medikamentösen Ansätzen, soll Tinnitracks auf die Ursache des lästigen Tons im Hörzentrum des Gehirns abzielen. Betroffene, müssen also nicht erst lernen, die Ohrgeräusche zu akzeptieren – und schließlich zu ignorieren – wie bei der Psychotherapie.

Zur Erinnerung: Tinnitus entsteht nach Ansicht von Wissenschaftlern nicht im Innenohr, sondern beruht auf einer Fehlschaltung im Gehirn. Wenn einige der Haarzellen des Innenohrs beschädigt sind, durch Stress oder Lärm, versuchen ihre Nachbarzellen, diesen Ausfall durch Überaktivität zu kompensieren. Als Folge können die Nervenzellen in der Hörrinde damit beginnen, eigene Signale zu produzieren oder – trotz fehlender Signale von außen – bestimmte Frequenzen zu verstärken. Störende Geräusche können die Folge sein.

Grundlage: Arbeit von Münsteraner Neurowissenschaftlern

Das inzwischen klassifizierte Medizinprodukt Tinnitracks basiert auf bereits geleisteter Forschungsarbeit der Neurophysiologie und Neuroakustik. Für Tinnitracks wird unter anderem auf die Erkenntnisse neurowissenschaftlicher Studien des Instituts für Biosignalanalyse und Biomagnetismus der medizinischen Fakultät der Universität Münster zurückgegriffen. Prof. Dr. Christo Pantev und sein Team belegten placebokontrolliert, dass frequenzgefilterte Musik die empfundene Lautstärke des Tinnitus, die Tinnitus-Aktivität der Nervenzellen sowie die psychologische Belastung bei Tinnitus-Patienten statistisch signifikant reduziert. Tinnitracks setzt diese Erkenntnisse für eine zeitgemäße Anwendung mit moderner Informationstechnologie um. "So kann dieser neurowissenschaftlich fundierte Therapieansatz endlich von einer Vielzahl von Patienten genutzt werden", erklärt Jörg Land. "Wir entwickeln diese Therapieform ständig weiter. Ein Allheilmittel gegen jede Form des Tinnitus ist sie allerdings nicht", meint er. In jedem Fall sei es ganz entscheidend, dass sich der Patient so oft wie möglich seine gefilterte Lieblingsmusik anhöre. "Denn nur, wenn man die gefilterten Musikstücke gerne hört, hört man auch aufmerksam zu", erklärt der Hanseate. Das bedeutet nach Empfehlungen von Prof. Christo Pantev täglich ein bis zwei Stunden. "Welche Art von Musik gewählt wird, ob Gesang oder instrumental, rockig oder eher sanft ist dabei unerheblich", erklärt Land. Wichtig allerdings sei, dass das Frequenzspektrum der Musik zu der jeweiligen Tinnitus-Frequenz passe. "Wenn jemand zum Beispiel Klassische Musik mag und einen sehr hohen Tinnitus hat, kann es sein, dass sich Stücke mit sehr vielen leisen Passagen nicht gut eignen. Das bedeutet eventuell, auf das eine oder andere Stück verzichten zu müssen."

Anfängliche Skepsis weicht zunehmend Zuspruch

Die drei Tinnitracks-Macher Matthias Lanz, Jörg Land und Adrian Nötzel haben einen steinigen Weg hinter sich. Zwei Jahre dauerte die Entwicklungszeit. Unzählige Besuche bei HNO-Ärzten und Akustikern gingen voraus. Dabei haben sie auch geprüft, ob das richtige Tinnitus-Matching-Equipment vorhanden ist. Ohne einen Hochtonaudiometer lasse sich die Frequenz eines Tinnitus nicht exakt bestimmen, so Land. "Ich kenne die Skepsis der Ärzteschaft, weil schon so viele problematische Dinge auf den Markt kamen", meint er. "Wir stellen den Fachleuten Tinnitracks vor und fragen immer, was wir aus deren Sicht verbessern könnten. Die Feedbacks haben uns weitergeholfen." Und auch Nutzer seien anfangs zu Recht kritisch, erläutert er. "Sie wollen das verständlicherweise vorher testen". Zuerst war Tinnitracks als Paket angedacht, das man für ein Jahr buchen konnte. Vielen war diese Variante allerdings zu hochpreisig. Deshalb wird jetzt mit Hochdruck an einer App für Smartphones gearbeitet. Die Idee: ein monatlicher Zugang zu einem moderaten Preis. "Für die App-Variante haben wir von den Ärzten viel Zuspruch bekommen, die diesen Ansatz nun ihren Patienten in der Breite empfehlen können, zumal man dabei nichts falsch machen könne", so Jörg Land.

Die Funktionsweise der Tinnitracks-App

Bevor es losgehen kann, muss die individuelle Tinnitus-Frequenz feststehen, die mit einem Hochtonaudiometer beim HNO-Arzt oder Akustiker gemessen wurde. Wenn es mehrere sind, können alle bestimmt werden. Doch sollte sich der Patient für jene Tinnitus-Frequenz entscheiden, die ihn am meisten stört. Wenn das entschieden ist, geht's los. Zunächst ist die App auf ein Smartphone oder Tablet herunterzuladen, in der die jeweilige Tinnitus-Frequenz einzugeben ist. Im nächsten Schritt wählt der Patient die Musik auf seinem mobilen Endgerät aus, die er besonders mag und gerne oft hört. Das können beliebg viele Titel sein. Fürs Erste genügen aber aber auch ein paar Dutzend. Sonormed prüft jeden einzelnen darauf, ob er sich für die Therapie aufbereiten lässt. Falls ja, werden die betreffenden Musikstücke gefiltert und automatisch aufs Smartphone in die App zurückgespielt. "Sonderlich technikaffin muss man nicht sein, um Tinnitracks nutzen zu können", erklärt Jörg Land. "Wenn jemand aber mobile Geräte komplett ablehnt, dann ist diese Therapie vermutlich nicht die richtige für ihn", räumt er ein.

Wenn alles soweit eingerichtet ist, kann die Behandlung für den Patienten mit einem chronischen tonalen subjektiven Tinnitus beginnen. Das Vergnügen dürfte sich recht früh einstellen, zumal Musik, die man liebt, eine positive emotionale Wirkung hat, was den Erfolg der Therapie begünstigt.

Ute Mai, Redaktion Schnecke/Schnecke-Online

INFO

Die 2012 gegründete Sonormed GmbH mit Sitz in Hamburg ist ein Medientechnologieunternehmen mit dem Entwicklungsschwerpunkt Digitale Audiologie. Das 2012 gegründete Startup hat mit Tinnitracks ein klassifiziertes Medizinprodukt zur Tinnitus-Behandlung herausgebracht. Tinnitus-Betroffenen soll der Zugang zu einer neuen, internetbasierten Therapieform ermöglicht werden. Grundlage ist das sogenannte Tailor-Made-Notched-Music-Trainings (TMNMT), dessen Wirksamkeit in der Tinnitus-Behandlung in unabhängigen klinischen Studien des Universitätsklinikums Münster bestätigt wurde. Es handelt sich hierbei um ein maßgeschneidertes Musiktraining, das dazu beiträgt, den Tinnitus-Ton als weniger laut zu empfinden. Für die Entwicklung und Markteinführung wurde das Hamburger Startup bereits mehrfach ausgezeichnet. Im Juni 2014 wählte das European Institute of Innovation & Technology Sonormed zum "EU-weit innovativsten Unternehmen im Bereich Gesundheit (Health)".

Weitere Informationen, ein Video über die Funktionsweise sowie eine detailliertere Darstellung der wissenschaftlichen Hintergründe finden Sie in unseren Fachinformationen für Ärzte hier http://www.tinnitracks.com/de/


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